Ein Phantom geht um in der politischen Publizistik – und erzeugt, je nachdem, Gänsehaut oder Wohlbehagen: Die Rede ist vom so genannten Kanzlerbonus. Dabei handelt es sich um ein semantisches Missverständnis. Bonus ist eine Sondervergütung oder ein Preisnachlass. In der Politik hingegen soll ein Amtsinhaber mehr oder weniger einen Stimmenvorzug besitzen – und das kraft Funktion vis-à- vis einem Herausforderer oder Newcomer.

Richtig ist, dass in diesem Zusammenhang der Amtskappel-Respekt in Österreich stärker ausbildet ist als anderswo: Jedoch kommt der "G'schamster Diener"-Effekt eher dem Bundespräsidenten in der Hofburg sowie den Landeshauptleuten in Form von landesfürstlichen Ehrerbietungen zugute – ganz in der Tradition von harmlosen k. u. k. Servilitäten.

Entscheidender ist da tatsächlich die Wirkung eines möglichen Bonus im Rahmen einer imaginären "Bundeskanzlerdirektwahl". Aber erst recht befinden sich die Meinungsforscher bei ihren Interviews (im Gegensatz zur "Sonntagsfrage") im rein hypothetischen Raum:

"Angenommen, Sie könnten den Bundeskanzler direkt wählen ...", lauten die Fragen. Und genau das ist das Problem. Man kann eben nicht, weil unsere Verfassung das nicht vorsieht. Ja, wir haben nicht einmal institutionalisierte Kanzlerkandidaten wie in Deutschland.

Die Konsequenz: Antwortende im Rahmen von Meinungsforschungen können gewissermaßen folgenlos ihren Antipathien, Loyalitäten oder Hoffnungen freien Lauf lassen. Und das Ergebnis sagt darüber auch kaum je etwas aus, wie sich die Wähler konkret in der Wahlzelle verhalten. So gibt es mehrere Beispiele für die entgegengesetzte Tendenz von Kanzlerbonus und Wahlergebnis: Josef Klaus, der amtierende "echte Österreicher" mit besonders hohem Kanzlerbonus, wurde 1970 von Bruno Kreisky aus dem Feld geschlagen; Fred Sinowatz hatte in den 80er-Jahren gar nicht so schlechte Kanzlerbonus-Werte, während die SPÖ nur knapp an einer deutlichen Niederlage vorbeischrammte, weil sie schnell Franz Vranitzky aus dem Zylinder zauberte; und dem Strahlekanzler Viktor Klima nützte 1999 sein Bonus nichts, als seine SPÖ ziemlich zerzaust wurde – von Jörg Haider.

Hinter dem Kanzlerbonus steckt eben nicht einmal ein Dankeschön-Effekt. Selbst Regierungschefs mit Jahrhundertleistungen erlitten den schmerzenden Fußtritt ihrer Wählerschaften; manche zwar nicht gleich, aber schließlich doch – und das mit geradezu biblischer Konsequenz: Ein Winston Churchill nach dem Weltkrieg-II-Sieg in Großbritannien, ein Julius Raab nach dem Staatsvertragserfolg in Österreich, ein Helmut Kohl nach der Wiedervereinigung Deutschland.

So gesehen ist unsere österreichische Kelsen-Verfassung schon in Ordnung: Bei Bundespräsidentenwahlen geht es um Personen, die in allen Facetten durchleuchtet werden und an deren Charisma sich die Wähler orientieren. Bei Parlaments- und Landtagswahlen hingegen um Konzepte zur Lösung politischer Probleme, um das Vertrauen in die jeweilige Richtung einer Partei – sowie um das G'spür von Mandataren für die Sorgen der Leute. So ist auch heute für die österreichische Zukunft alles offen – und die Bonus-Diskussion eine charmante Variante der Personalspielchen unserer Medien.

Richtig ist auch, was die SPÖ im Internet verkündet: Dass sie seit zwei Jahren stabil vor der ÖVP liegt – wohlgemerkt, in Umfragen ...