Berlin - In der deutschen Visa-Affäre ist nun auch ein Politiker der oppositionellen Union in die Kritik geraten: Der Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Hessen, Roland Koch (CDU), hat sich noch Mitte Oktober 2004 in einem Brief an Außenminister Joschka Fischer (Grüne) für eine großzügige Visa-Erteilung an chinesische Touristen nach dem umstrittenen Reisebüroverfahren eingesetzt.

Im deutschen Auswärtigen Amt gibt es Befürchtungen, dass die durch die EU erleichterte Visa-Erteilung für Reisende aus China zu Missbrauch führen könnte. Grünen-Chefin Claudia Roth forderte Kochs Parteifreunde am Wochenende auf, sie "sollten dessen Brief genau studieren und endlich verbal abrüsten".

Koch: "Zeitnahe Visa-Erteilung ein wichtiger Faktor"

Koch schreibt in dem Brief, der der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorliegt: "Im europäischen Wettbewerb um die wachsende Zahl chinesischer Gäste ist die zeitnahe Visa-Erteilung ein wichtiger und nicht zu unterschätzender Faktor." Koch bekannte sich am Samstag "aus voller Überzeugung und mit gutem Gewissen" zu seiner Bitte. Chinesische Urlauber, Wissenschaftler und Kaufleute, die auf Zeit nach Deutschland kämen, mit ukrainischen Schwerkriminellen zu vergleichen, zeige nur, "dass Außenminister Fischer das Wasser in seiner Affäre längst bis zum Halse steht", sagte der hessische Regierungssprecher Dirk Metz in Wiesbaden.

Die Union wirft Fischer vor, unter seiner Verantwortung hätten deutsche Botschaften mit ihrer Visa-Vergabepraxis Schleuserkriminalität, Menschenhandel und Zwangsprostitution Vorschub geleistet. Mit der Praxis beschäftigt sich derzeit ein Untersuchungsausschuss.

Einem Bericht der Zeitung "Die Welt" zufolge gibt es im Auswärtigen Amt Befürchtungen, die EU-Regelungen könnten in China "für Visumserschleichungen missbraucht werden". Deutschen Sicherheitsbehörden lägen Hinweise vor, dass chinesische Tourismusunternehmen und Speditionen von Schleusern gezielt unterwandert und genutzt werden könnten.

Abkommen seit September 2004

Mit einem seit September 2004 angewendeten Abkommen zwischen der EU und China wurde das Reisebüroverfahren für 13 Schengen-Staaten vereinbart. Dabei werden für Gruppenreisen Visa über bei der chinesischen Regierung akkreditierte chinesische Reisebüros vergeben, ohne dass die Antragsteller persönlich vorsprechen müssen. Dieses Verfahren galt als eines der Einfallstore beim Visa-Missbrauch in der Ukraine.

Seit der Reiseerleichterung ist die Zahl der Visa-Anträge bei der deutschen Botschaft in Peking stark gestiegen. Koch schrieb an Fischer: "Es sollte im gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern liegen, die Ausstellung der Visa so zu gestalten, dass sie nicht zu einem Nadelöhr für chinesische Touristen wird." Hessen sei bei den Übernachtungen chinesischer Gäste führend in Deutschland und wolle diesen Vorsprung ausbauen. Der Ministerpräsident geht dabei davon aus, dass Reisende aus China "auch unter Sicherheitsaspekten nicht zu den Problemgruppen gehören".

Der Außenamts-Staatssekretär Jürgen Chrobog hatte dagegen im Dezember vorigen Jahres in einem Brief an das deutsche Innenministerium Befürchtungen über möglichen Missbrauch geäußert. Die Regierung in Berlin regte nach Angaben aus dem Außenministerium darüber hinaus in Brüssel an, das Abkommen mit China monatlich von der EU überprüfen zu lassen. (APA/dpa)