Elina Garanca: "Am schlimmsten sind die letzten 30 Sekunden vor dem Auftritt. Das ist das pure Adrenalin - wie wenn man mit einem Fallschirm aus dem Flugzeug springt."

Foto: STANDARD/Urban
Diesen Samstag singt die lettische Mezzosopranistin Elina Garanca ihre erste große Premiere an der Wiener Staatsoper: Sie ist die Charlotte in Jules Massenets Oper "Werther".


STANDARD: Fangen wir am Anfang an. Wie war Ihre Kindheit in Riga?
Garanca: Ich bin auf dem Land aufgewachsen, meine Großeltern waren Bauern. Wir haben auf den Feldern gearbeitet, Heu eingefahren, im Sommer, bei 40 Grad. Als Belohnung durften wir dann zum Fluss schwimmen gehen. Ja, ich bin ein richtiges Bauernmädchen! Ich kann immer noch eine Kuh melken, ein Schwein zerteilen - alles kein Problem!

STANDARD: Sie waren 22 Jahre alt, als Sie im Jahre 1998 zu Ihrem ersten längerfristigen Engagement nach Westeuropa gekommen sind, ins bundesdeutsche Meiningen. War es schwer für Sie?
Garanca: (seufzt) Und wie! Ich hatte damals überhaupt kein Geld, bin mit dem Bus von Lettland nach Berlin gefahren, ganze 20 Stunden. Es ging dann mit dem Zug weiter, ich musste siebenmal umsteigen, war mit einem riesengroßen Koffer unterwegs, in dem meine Sachen für ein halbes Jahr gepackt waren! Auch konnte ich fast kein Deutsch. Also bin ich zwischen den Proben immer schnell nach Hause gefahren, habe den Fernseher eingeschaltet und "Arabella Kiesbauer" geschaut, mit einem dicken Wörterbuch, und dabei zu Mittag gegessen. Nach einem halben Jahr ging es dann, da kannte ich die Sprache und die Menschen schon etwas besser. Bis dahin aber: unzählige Nächte in nass geweinten Kissen!

STANDARD: Nach Meiningen kamen Sie an die Oper in Frankfurt, seit 2003 singen Sie in Wien, jetzt haben Sie hier Ihre erste große Premiere. Es scheint, dass es mit Ihrer Karriere kontinuierlich aufwärts gegangen ist. Oder gab es zwischendurch auch kurze Tiefs, Enttäuschungen?
Garanca: Der BBC-Wettbewerb in Cardiff 2001, so ein bisschen. Ich bin dort ins Finale gekommen, habe aber nicht gewonnen, obwohl mir das eigentlich alle vorher prophezeit haben. Das war natürlich schon ein Schlag für mein Ego, weil bis dahin wirklich alles ganz glatt gegangen ist. Jetzt muss ich sagen, dass mir diese Erfahrung gut getan hat: Ich habe gelernt, dass es nicht immer so geht, wie man will. So ist es im Leben.

STANDARD: Die Wiener Staatsoper ist seit zwei Jahren Ihre künstlerische Heimat. Eine, an der Sie sich wohl fühlen?
Garanca: Sehr. Staatsoperndirektor Ioan Holender ist sehr verständnisvoll, sehr kooperativ, er zwingt mich nicht in Rollen, die (noch) nicht passen. Er ist auch großzügig bei Gastengagements von mir - verzichtet manchmal auf eine Zweite Dame von mir hier am Haus, wenn ich eine Cenerentola in Paris singen kann.

STANDARD: Wie steht es um Ihre neue Partie, die Charlotte: Wo liegen die Schwierigkeiten? Sie haben bis jetzt hauptsächlich Leichtes, Bewegliches von Mozart oder Rossini gesungen - ist dieser Wechsel zum tragischen, pathetischen Massenet nicht sehr schwierig?
Garanca: Auf jeden Fall! Es ist tatsächlich meine erste große lyrisch-dramatische Partie: Da ist die Versuchung natürlich sehr groß, zu viel zu geben, da muss man oft den kleinen Computer im Kopf auf höchste Alarmstufe stellen, damit das nicht passiert, sonst schadet man der Stimme. An der Charlotte ist es diese Unentschlossenheit, die mich fasziniert. Sie ist hin- und hergerissen: Albert ist zwar langweilig, aber er gibt ihr auch Stabilität, Werther ist natürlich viel interessanter, aber er ist auch sehr unberechenbar, ja kindisch mit seinen ständigen Liebesschwüren.

STANDARD: Was ist es eigentlich für ein Gefühl, auf einer Opernbühne zu stehen?
Garanca: Am schlimmsten - wahrscheinlich für jeden, der auf eine Bühne geht - sind die letzten 30 Sekunden vor dem Auftritt. Das ist das pure Adrenalin - wie wenn man mit einem Fallschirm aus dem Flugzeug springt. Dann aber, mit dem ersten Ton, der ersten Phrase, kommt man in eine gewisse Ruhe, ein Stille, und dann macht man eben den Job. Das geht mal besser, mal schlechter, je nach Befindlichkeit, nach Partie, nach Rollenroutine.

STANDARD: Was schätzen Sie an dem Schweizer Dirigenten Philippe Jordan? Sie haben letzten Sommer ja schon in Salzburg mit ihm zusammengearbeitet.
Garanca: Er ist kompetent, er ist offen, man kann mit ihm über alles reden. Es ist angenehm, dass er jung ist, so habe ich weniger Hemmungen, mit Problemen oder Vorschlägen zu ihm zu kommen.

STANDARD: Und Ihr unglücklicher Werther, Marcelo Álvarez?
Garanca: Er ist wundervoll. (Lacht:) Liebe auf den ersten Blick!

STANDARD: Sie werden berühmter und berühmter. Mögen Sie das? Garanca: Ja und nein. Privat bin ich eher ein schüchterner Mensch, wenn mich jemand auf der Straße anspricht, dann ist mir das eher unangenehm. Speziell vor einer großen Premiere wie dieser merke ich auch, wie die Erwartungen wachsen und wachsen - in eine Höhe, die ich vielleicht jetzt noch gar nicht erreichen kann. Die Stimme braucht nun einmal ihre Zeit, um sich zu entwickeln. Und die möchte ich ihr auch geben. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.02.2005)