In Berlin herrscht theatrale Tristesse - und weder Lessings Minna von Barnhelm am Deutschen Theater noch gar Das Wundermädchen von Berlin von Hanns Heinz Ewers im Maxim-Gorki-Theater erfüllen sie mit dem Duft dringlich ersehnten Bühnenwunders.

Man war gespannt auf Martina Gedeck und Ulrich Matthes. Als Traumpaar des ersten, so ernsten wie heiteren deutschen Lustspiels, in dem eine herzenskluge junge Dame aus Sachsen einen kriegsversehrten, durch falsche Ehrbegriffe verkorksten preußischen Major dem Leben, dem Lieben, ihrem Herzen wieder zuführt, finden sie nicht recht zusammen.

Barbara Frey lässt vom Blatt spielen, führt auf Bettina Meyers Drehbühne in ein Billighotel mit Müllcontainer auf Parkhof. Anke Grot steckt alle in farblosen Sommerlook von Heute, zu Phrasen und Floskeln von Damals. Die geist-und liebevolle Alternative zum "Soldatenglück" des Untertitels ist in der funkelnd klaren Natürlichkeit der Sprache bei allen bestens aufgehoben. Aber man findet nicht zu Theaterglück zusammen.

Martina Gedeck ist kaum präsent. Ulrich Matthes spielt den Schwierigen. Mehr gelingt da schon den Dienstboten. Nina Hoss als Franziska serviert die Komödienreste pfiffig, fröhlich, frech und findet in Frank Seppeler einen Wachtmeister, der seine Scheu rau und zart zugleich wundervoll in Schwebe zu halten weiß. Aber es fehlen Tempo, Temperament und Witz. So lässt der Abend seltsam kalt und dass er mit Kostüm und Kulisse in die Gegenwart gezerrt wird, macht ihn noch altbackener.

Gänzlich klamottig misslingt am Gorki-Theater Das Wundermädchen von Berlin, das Alexander Lang bei Hanns Heinz Ewers (1871-1943) entdeckte. Eine schillernde Figur, auflagenstarker Schriftsteller, dessen Bestseller Alraune 1930 mit Brigitte Helm, 1952 mit Hildegard Knef verfilmt wurde. 1932 schreibt er einen Horst Wessel-Roman, 1933 folgen dennoch Schreibverbot und Bücherverbrennung. Hier steckt er 1848 eine wundertätige Heilige Johanna der Hinterhöfe (Heike Warmuth) als keusche Hure ins Bordell, wo Liebe zum Revoluzzerstudenten von 1848 (Norman Schenk) aufflammt. Das liegt nah am Musical und ist noch miserabler als Les Misérables. Volker Hesse, der sein Haus publikumswirksam stabilisiert hatte, wird um Zulauf nicht fürchten müssen, aber ums künstlerische Renommee. Thomas Flierls umstrittene Bestellung von Armin Petras als Nachfolger ab 2006 bekommt so doch Legitimation.

Intendantensuche

In seine Intendantensuche fürs Deutsche Theater hat PDS-Kultursenator Flierl - westskeptisch, ostnostalgisch, kommunikationsscheu und beratungsresistent - nach der für ihn peinlichen Absage seines umstrittenen Favoriten Christoph Hein am Tage der geplanten Vertragsunterzeichnung schnell eine Kommission eingeschaltet. Hortensia Völckers (Bundeskulturstiftung) und die Intendanten Wolfgang Engel (Leipzig) und Ulrich Khuon (Thalia Hamburg) rieten ihm die Vertragsverlängerung des von ihm ungeliebten Bernd Wilms bis 2008, gaben aber auch mögliche Nachfolger-Namen an die Hand. Davon reizte ihn Thomas Oberender, Chefdramaturg in Bochum. Der sagte ab.

Nun wird mit Wilms verhandelt, der eine Verlängerung als Triumph empfinden müsste. Und damit seine Intendanz zu hoch einschätzen würde. Denn nur drei Produktionen - Michael Thalheimers Emilia Galotti und Faust I und Jürgen Goschs Wer hat Angst vor Virginia Woolf? - ragen aus dem Mittelmaß der drei Jahre heraus. Von einer "Ära" kann keine Rede sein. Ein Lichtblick aber ist schon, dass die misslich wirre "Ära Flierl" schon mit der Wahl 2006 enden dürfte. (DER STANDARD, Printausgabe, 08.02.2005)