Politologe John Palmer

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Standard: Die Verhängung der Maßnahmen gegen Österreich ist fünf Jahre her. Waren sie im Nachhinein betrachtet klug? Palmer: Der politische Weg, die Beteiligung von Jörg Haiders Partei an der Regierung durch Sanktionen zu verurteilen, war ein sehr wichtiges Signal. Damit wurde deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die EU auf der Basis wichtiger Werte und Prinzipien steht. Jetzt, fünf Jahre danach, können wir sehen, dass diese Werte formal ein Bestandteil der neuen europäischen Verfassung geworden sind. Damit sind es nicht mehr nur die Mitgliedsstaaten oder die EU-Institutionen, die eine Meinung zu einem bestimmten Punkt ausdrücken. Diese Werte sind in die Verfassung integriert und damit aufgewertet worden.

Standard: Dennoch waren Sanktion im Fall Italien dann keine Option mehr. Palmer: Es gibt immer wieder Grenzfälle wie die Regierungsbeteiligung der Alleanza Nationale von Gianfranco Fini in Italien. Das hat sicher Bedenken und Besorgnis in der EU ausgelöst. Aber Fini hat Anstrengungen gemacht, sich von der Vergangenheit der Alleanza zu lösen und sich von der Faschismus-Zeit distanziert. Daher konnte man argumentieren, dass die Richtung von Fini doch ein wenig anders war als die von Jörg Haider: Wenn man Herrn Haider zuhörte, hatte man nicht den Eindruck, dass er sich klar von der NS-Zeit distanziert.

Standard: Die Sanktionen gegen Österreich wurden bald aufgehoben. War das ein Zeichen ihrer Erfolglosigkeit? Palmer: Nein, denn die Maßnahmen gegen Österreich haben eine wichtige Konsequenz: Seither ist es erstmals möglich, auf einer rechtlichen Basis gegen einen Mitgliedsstaat vorzugehen. Wenn ein Mitglied diese fundamentalen EU-Grundsätze in einer ernsten und anhaltenden Weise verletzt, dann könnte der Staat sogar aus der EU ausgeschlossen werden. Die dementsprechenden Artikel 6 und 7 wurden als Konsequenz aus den EU-Maßnahmen dem Vertrag hinzugefügt. Daher war das, was wir den Haider-Vorfall nennen könnten, eine Stufe auf dem Weg hin zum Ausdruck einer verbindlichen Festschreibung der europäischen Werte in der Verfassung - inklusive Konsequenzen bei Werteverstößen.

Standard: Wurde bei der Verhängung der Sanktionen an diesen Schritt hin zu einer politischen Union gedacht? Palmer: Über diese Notwendigkeit, europäische Werte und Prinzipien zu verankern, wurde schon davor nachgedacht. Aber der Notfall des Aufstiegs von rechten, populistischen und teils sogar postfaschistischen Parteien haben dann zu mehr Eile geführt, dass man in der EU wichtige gemeinsame Werte definieren muss. Ich denke, dass Respekt vor Minderheiten, die Wertschätzung der Demokratie und Antirassismus immer implizit zur EU gehörten - aber mit dem Aufstieg der rechten Parteien wuchs die Überzeugung, dass man diese Werte deutlicher machen muss. Diese Überzeugung entstand nicht nur wegen der FPÖ und wegen Jörg Haider, sondern wegen ähnlicher Phänomene in anderen Staaten.

Standard: Sogar FPÖ-Politiker sagen, dass die Sanktionen der Regierung halfen. Wurde der Effekt bedacht? Palmer: Offensichtlich wurde gehofft, dass diejenigen Österreicher, die sensibel sind und historisches Verständnis haben, den Punkt der europäischen Werte verstehen. Wenn man sich die Wahlergebnisse seither anschaut, die deutlichen Niederlagen der FPÖ, dann wurde dieses Pochen auf die prinzipiellen Werte doch auch gewürdigt. Daher glaube ich nicht, dass die Maßnahmen langfristig der Regierung nutzten. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.2.2005)