"Die Toten der RAF", ein Fotoparcours von Hans Peter Feldmann in den KunstWerken Berlin.

Foto: KunstWerke
An Mahnmalen herrscht in Berlin kein Mangel. Am vergangenen Wochenende fügten die KunstWerke ein weiteres hinzu: In das Erdgeschoß des Ausstellungshauses in Mitte wurde ein Schrein gebaut, auf dessen leeren Innenwänden Die Toten zu sehen sind.

Der Künstler Hans Peter Feldmann hat aus den Zeitungen und Zeitschriften der letzten vierzig Jahre die Bilder der Opfer des deutschen Terrorismus ausgeschnitten, und aneinander gereiht. Die Toten der RAF bilden eine Reihe: Täter und Opfer, Sympathisanten und Kombattanten, bekannte Personen und anonyme Leibwächter, Benno Ohnesorg und Alfred Herrhausen. Es ist eine lange Liste, die durch die Inszenierung enorm an Gewicht gewinnt, in der die unterschiedlichen Umstände aber auch eingeebnet werden.

Die Toten ist das Herzstück in "Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF-Ausstellung". Die Warteschlangen bei der Eröffnung am Samstagabend bewiesen nicht nur das Interesse der Öffentlichkeit an dieser kontroversen Veranstaltung. Sie sind auch ein Indiz dafür, dass das Kalkül der Kuratoren aufgeht: Sie reklamieren für die bildende Kunst eine Deutungshoheit auf einem wichtigen zeithistorischen Feld, die von den gezeigten Werken nicht einmal im Ansatz eingelöst werden kann.

Defensivkonzept

Klaus Biesenbach hat namens der Kuratoren zur Vorsicht auch eine defensive Formel für das Projekt ausgegeben: Es geht um "die Wahrnehmung der Gewaltbilder in Medien und Kunst. Wir machen keine Interpretation, ziehen keine Schlüsse." Damit widerruft die Ausstellung sich selbst. Die Geschichte des linksradikalen Terrorismus ist in der Berliner Republik zu einem rein historischen Phänomen geworden. Es geht nunmehr vor allem um dessen Status im Erinnerungshaushalt der Deutschen.

Gilt Stammheim als das andere Auschwitz, oder war Baader ein neuer Eichmann? Die aktive RAF hatte ein intellektuelles Umfeld, das zwar überwiegend den bewaffneten Kampf nicht befürwortete, aber die "politischen Gefangenen" deswegen nicht ohne Unterstützung gegen den Staat lassen wollte. Aus der frühen Gefangennahme der "ersten Generation" und vor allem aus dem Hungertod von Holger Meins erwuchsen die Opferbilder, die zu einer Solidarisierung führten, die sich bei den meisten Sympathisanten niemals auf die Strategie der RAF selbst bezog.

Beuys brachte dies mit der Installation Dürer, ich führe persönlich Baader + Meinhof durch die Dokumenta V (1972) zum Ausdruck. Diesen "double bind" der Linken zu analysieren und seine Geschichte in die Gegenwart fortzuschreiben wäre ein interessantes Ausstellungsprojekt gewesen.

Die KunstWerke reihen stattdessen einfach aneinander, was die Großen und Mittelmäßigen zu dem Stichwort RAF jeweils assoziiert haben: Gerhard Richter, Sigmar Polke, Jörg Immendorf oder ihr Epigone Jonathan Meese. Fast durchweg sind die Arbeiten sprachspielerisch begründet, erschöpfen sich aber auch darin: Katharina Sieverdings großformatige Fotografie Schlachtfeld Deutschland XI/ 78 (1978) ist der visuelle Beweis für den Begriff, den er im Titel führt. Christoph Draeger bringt das Publikum in den drei Peep-Videos Stammheim (2003) in die Position eines Strafvollzugsbeamten, der in die Zellen von Baader, Ensslin und Meinhof starrt und auf ihren Tod wartet.

Beobachter

Über die RAF als politische und kriminelle Bewegung geht aus der Ausstellung nichts hervor. Die Kunst bezieht sich auf die Medien, aber in der Beobachtung der Beobachtung gewinnt sie keine Ebene außer Idolatrie. In einem großformatigen "postmedialen" Bild von Johannes Kahrs erscheint Ulrike Meinhof wie eine (ethnisch) Fremde, nicht mehr wie eine Deutsche. Sie sieht spektakulär gut aus, aber wer ist sie? Und was erbringt die Assoziation mit Travis Bickle, dem Taxi Driver? Es gibt keine Vorstellung des Terrors, die nicht eine Nachstellung wäre.

Die Unschuldsvermutung, die von den KunstWerken auf sich selbst zuerst angewendet wird, gilt einem Kunstbetrieb, der zu allem etwas zu zeigen hat, aber nichts sagen will. Es ist bezeichnend, dass in diesen Tagen auch ein neues Buch über die RAF auf den Markt kam, das auf 860 Seiten die Geschichte der RAF nachzeichnet: Tödlicher Irrtum von Butz Peters hat die Anmutung eines Standardwerks, ist aber so einfältig und nassforsch geschrieben, dass es historiografisch nahezu wertlos ist. Zwischen diesen beiden Polen scheitert die "Bewältigung" des deutschen Terrorismus.

Der Politik der Regierung Schröder kommt dies nur entgegen: Sie ist geprägt von symbolpolitischen Besiegelungen, die im Fall der nach wie vor heftig umstrittenen Flick-Collection so weit gehen, dass ein Industrieller die eigene Familiengeschichte durch eine Kunstsammlung läutern kann, die sich der Staat dann auf die Fahnen heftet. Der anheischige Kunstbetrieb wird immer mehr zu einer Ausrede für das, was fehlt: Aufklärung. Und zwar nicht durch die Polizei. (DER STANDARD, Printausgabe, 03.02.2005)