Brüssel - Die oberste Verantwortung für die Umsetzung der Lissabon-Strategie, dank der die EU international wettbewerbsfähiger werden will, liegt bei den Mitgliedsländern, stellt die EU-Kommission in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Zwischenbericht vor. Nur die EU-Staaten könnten die "Botschaften auf nationale Sorgen und Debatten abgestimmt werden". Denn bisher sei die Umsetzung der gemeinsam formulierten Ziele "die Achillesferse der Lissabon-Strategie". Bisher habe es "viel Papier, aber wenig Aktionen" gegeben.

Sechs Millionen neue Jobs könnten entstehen, wenn die Mitgliedsländer die überarbeitete Fassung der Lissabon-Strategie wirklich umsetzen, kündigte EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso am Mittwoch Nachmittag im EU-Parlament an. "Das zentrale Neue" an den nun vorgelegten Vorschlägen sei die neue Methode, erläuterte EU-Kommissar Günter Verheugen. Durch einen einzigen jährlichen Bericht über erzielte Fortschritte werde eine breite öffentliche Debatte über das zentrale europäische Projekt erzwungen. Damit würden die Mitgliedsländer zu konkreten Maßnahmen gezwungen, hofft Verheugen.

Inhaltlich konzentriert und wiederholt die EU-Kommission vor allem alte bekannte Projekte vom Gemeinschaftspatent über die Dienstleistungsrichtlinie bis zur Chemikalienverordnung REACH. Die Gesetzgebung soll besser werden, die Außenbeziehungen gestärkt. Auch wenn das Programm auf die Wirtschaftsbelebung konzentriert sei, heiße das nicht, dass Umwelt und Soziales weniger wichtig seien, betonte Barroso. Aber mehr Wachstum sei die Voraussetzung, um die anderen Ziele zu erreichen. Aus Sicht Verheugens ist "die Botschaft an die Wirtschaft", dass die Union zwar die Rahmenbedingungen verbessern wolle, dass aber nicht mit mehr Subventionen oder Protektionismus zu rechnen sei.

Verantwortung der Staaten soll klarer herausgearbeitet werden

Bisher seien die Mitgliedsländer säumig bei der Umsetzung der an sich guten Ziele des 2000 beschlossenen Lissabon-Prozesses, mit dem die EU im Jahr 2010 die wettbewerbsfähigste Region der Welt werden wollte, betont die EU-Kommission. Das Ziel wird nun auch nicht mehr wiederholt. In Zukunft soll daher die Verantwortung der nationalen Regierungen klarer herausgearbeitet werden. Auf europäischer Ebene soll nur mehr koordiniert, bewertet und "unterstützt" werden. Dafür will Brüssel Druck machen, dass die Mitgliedsländer Gemeinschaftsrecht pünktlich umsetzen - auch das eine seit Jahren wiederholte Forderung.

"Herr oder Frau Lissabon" für jedes Land

Um die Vorschläge, die erst am EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ende März formell beschlossen werden müssen, diesmal zu verwirklichen, sollen die Mitgliedsländer ein "nationales Aktionsprogramm für Wachstum und Beschäftigung" beschließen. Ein auf Regierungsebene angesiedelter "Herr oder Frau Lissabon" soll alle nationalen Maßnahmen koordinieren. In einem "Lissabon-Aktionsplan" mit zehn Punkten fasst die EU-Kommission ihrerseits die konkreten Maßnahmen zusammen, die auf EU-Ebene geplant sind.

Die österreichischen Wirtschaft reagierte auf den Lissabon-Relaunch mit breiter Unterstützung, während der ÖGB die Vorschläge ablehnte. "Der Lissabon-Relaunch muss auch in Österreich Chefsache werden", forderte Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und der Europäischen Wirtschaftskammern "Eurochambres". Auch die Industriellenvereinigung beurteilte den Text positiv. "Die von der Kommission geforderte Dynamisierung der Wirtschaft in dieser Form bedeutet nichts anderes als den Sozialabbau zu verschärfen und sich endgültig vom sozialen Europa zu verabschieden", erklärte dagegen ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch. "Das kann es wohl nicht sein." (APA)