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Bundespräsident Heinz Fischer und Rudolf Sarközi, Obmann des Kulturvereins der Österreichischen Roma, legten Freitag an jener Stelle einen Kranz nieder, an der die Bombe des Franz Fuchs Erwin Horvath, Karl Horvath, Josef Simon und Peter Sarközi (v. li.) tötete.

Foto: APA/TATIC / HBF
Die Republik war, abgesehen von ein paar erstaunlich plumpfühligen Politikern, zutiefst geschockt. Kaum je hatte man eine so bewegte, ja erschrockene Staatsspitze erlebt wie nach jener Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1995, in der eine hinterhältig platzierte und zynische beschriftete Sprengfalle vier Oberwarter - Peter Sarközi, Josef Simon, Erwin und Karl Horvath - zerfetzt hatte. Der Schrecken überkam die Politiker nicht alleine wegen dieser Tat, sondern auch der Umstände wegen, die sie erstmals in ihrem Leben so schonungslos ansehen mussten, wie sie tatsächlich eben waren. Thomas Klestil, der Bundespräsident; Karl Stix, der burgenländische Landeshauptmann; Franz Vranitzky, der Kanzler der Republik - sie alle versprachen mit einem Mal all jene Dinge, die vorher zu tun zweitrangig erschienen waren. "Das Netz des Wohlstandes", so der Kanzler, "müssen wir fester knüpfen." "Zuckerberg"

Von der Ausbildung der Kinder bis zur Wohnsituation der Familien: Alles, worin die Roma ihr Leben verbrachten, schien auf einmal eine Anklage gegen einen selbst zu sein. Der bauliche Zustand der kleinen, abseits platzierten Siedlung unter der in ganz Oberwart und Umgebung einschlägigen Adresse "Am Anger" war da nur das drastische Symbol für das Verrottete des Umgangs mit der schwächsten, seit Jahrhunderten gequälten Volksgruppe.

Die Siedlung ist heute saniert, unlängst erst hat die Gemeinde einen von den kleinen Häusern aus einsehbaren Kinderspielplatz hingestellt. Ein "Zuckerberg" - so nennt sich das wohlhabendste Viertel der südburgenländischen Stadt - ist der Anger immer noch nicht. Wegziehen wollen die meisten dennoch nicht. "Da ist man eben daheim", sagt Tina Nardai, die junge Chefin der "Volkshochschule der burgenländischen Roma". Lebensumstände Diese materielle Hilfe, die der Schreck und die Scham nach dem Mordanschlag ins Rollen gebracht hat, ist freilich nur ein kleines Stück dessen, was in Oberwart - von dem heute so ziemlich jeder Oberwarter weiß, dass die Roma es Erba nennen - passiert ist in den vergangenen zehn Jahren, in denen aus Kindern Jugendliche und aus Jugendlichen Erwachsene geworden sind mit der Aufgabe, die Idiotien ihrer Eltern möglichst nicht zu wiederholen. Tatsächlich ist das von den hohen Politikern so hochheilig versprochene Projekt - die Lebensumstände der österreichischen Roma nachhaltig zu verbessern - eines, das auf Generationen angelegt ist. Stefan Horvath, Vater des von der Bombe getöteten Peter Sarközi, mahnt jedenfalls alle zur Geduld und dazu, "dass auch wir uns bewegen müssen, was tun müssen". Die Anstrengungen, die in die Ausbildung der Kinder zu investieren sind, hätten wieder etwas nachgelassen, obwohl die Lehrer in hohem Maße motiviert und aufmerksam seien. Jedenfalls ist es nicht mehr die Regel, die Kinder automatisch in die Sonderschule zu stecken. Linguistischer Glücksfall

Für den Historiker Gerhard Baumgartner, der vergangene Woche den von Rudolf Sarközi und seinem Kulturverein Österreichischer Roma initiierten Forschungsbericht "Die Burgenland Roma 1945-2000" vorstellte, ist die Änderung der geläufigen Bildungsbiografien überhaupt das Entscheidende. Mit relativ bescheidenen Mitteln - außerschulische Lernbetreuung der Kinder am Nachmittag - seien fundamentale Verbesserungen möglich gewesen. "Und es erhebt sich natürlich die Frage, warum so was nicht schon früher möglich war."

Vielleicht, weil früher die erst 1993 als solche anerkannte Volksgruppe sich selbst mit der von den "Gadsche" ins Leben gerufenen Skepsis gegenübergetreten ist. In Erba etwa ist die normale Umgangssprache in den Familien Deutsch. Emmerich Gärtner-Horvath spricht von sich selbst als einen Glücksfall, weil er in Kleinbachselten/Boslina aufgewachsen ist, wo das Roman als Umgangssprache noch verbreitet gewesen ist. Der linguistische Glücksfall entpuppte sich als einer für die ganze Volksgruppe: Gärtner-Horvath, den sie landauf, landab "Charlie" nennen, tat sich mit Sprachwissenschaftern der Universität Graz zusammen, die eine Verschriftlichung der bis dahin ausschließlich mündlich tradierten Sprache erarbeiteten. Weshalb es heute schon einschlägige Schulbücher gibt, was dem burgenländischen Landtag ermöglichte, vergangene Woche den Beschluss zu fassen, landesweit alle drei Volksgruppensprachen anzubieten - so der Bund mitzieht, der sich erstaunlicherweise bei der Förderung der Roma aus dem Schneider glaubt (siehe Bericht unten). Eigenständigkeit Die Verschriftlichung des Roman war im Grunde die Initialzündung für eine Wiederbelebung der Volksgruppensprache, die mit der EU-Erweiterung auch kontinentweit ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist. Und mit der Wiederbelebung der eigenen Sprache entstand auch das Bedürfnis, sich in kulturellen Eigenständigkeit darzustellen. Dass dies nicht nur auf fade, betuliche Weise passieren kann, zeigte Emmerich Gärtner-Horvath bei den noch bis 5. Februar laufenden Gedenkveranstaltungen in Oberwart. Gemeinsam mit seinem Kollegen vom Roma-Service, Josef Horvath, extemporierte er erbaulich humoristisch die von Peter Wagner produzierte filmische "Charlie & Pepi Show", in der "die zehn wichtigsten Dinge im Leben der Burgenland-Roma" präsentiert und verarscht wurden. Auf Roman mit deutschen Untertiteln. Die Premiere des Films sahen rund 300 Menschen, und was Peter Wagner besonders freut: "Die Hälfte davon Roma, und die haben sich köstlich amüsiert." Selbstbewusstsein Die Möglichkeit, sich selbst aufs Korn des Lachens zu nehmen, ist wohl das stärkste Indiz dafür, dass die Dinge inzwischen angefangen haben, sich zum Besseren zu wenden. Anders, als die Politiker das damals vor zehn Jahren gemeint haben. Aber so von vitalem Selbstbewusstsein erfüllt, dass einen auch die drastische Anwesenheit des Bombensockels und der zynischen Tafel mit der Aufschrift "Roma zurück nach Indien" nur ganz am Rande stört. Dem Menschen, der beides nach Oberwart/Erba/Felsöör/Borta gebracht hat, und seinen Maullangern ist es nur gelungen zu morden. Nicht aber zu zerstören. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.1.2005)