Der Wunsch der neuen Führung in Kiew nach einer EU-Mitgliedschaft für die Ukraine ist so verständlich wie die Unterstützung des Europaparlaments dafür - und der Widerstand von Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner dagegen. Denn Viktor Juschtschenkos Vorstoß stellt die "Neue Nachbarschaftspolitik", eines der wichtigsten strategischen Projekte der Union für die nächsten Jahrzehnte, abrupt infrage.

Vor noch nicht einmal einem Jahr einigte sich die Kommission darauf, weil spätestens nach der jüngsten Erweiterungsrunde am 1. Mai 2004 klar war, dass der Ansatz der "Erweiterung durch Eingemeindung" allein aus institutionellen Gründen nicht mehr praktikabel ist. Die EU scheint - mit oder ohne neue Verfassung - schon mit den Kandidaten Rumänien, Bulgarien, Kroatien und Türkei überfordert, von den Ländern am Balkan mit so genannter Beitrittsperspektive ganz zu schweigen. Deswegen musste für alle anderen potenziellen EU-Aspiranten eine Art "Erweiterung durch Anbindung" erfunden werden.

Weißrussland, die Ukraine, die Länder im Kaukasus, die Mittelmeeranrainer im Nahen Osten und Maghreb sollten durch eine Partnerschaft europäisiert werden, deren Intensitätsgrad die neuen Nachbarn selbst bestimmen können. Anders gesagt: Brüssel finanziert die Annäherung großzügig (allein zwischen 2004 und 2006 mit 255 Millionen Euro), bekommt das Abkühlen von Konfliktherden an den Rändern Europas und nachlassenden Migrationsdruck und nimmt dafür ein Weniger an Demokratie, "Good Governance" und Marktwirtschaft in Kauf.

Demokratische Revolutionen wie in der Ukraine waren dabei nicht kalkuliert und bringen die EU erneut ins Nachbarschaftsdilemma: Gesteht man Kiew eine Beitrittsperspektive zu, kann man sie Tiflis, Rabat oder gar Tripolis schlecht verweigern. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.1.2005)