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Ground Zero nach 9/11. AlKaida sei laut Hauschild ein vielschichtiges Netzwerk in sich stets wandelnden, auf Reaktionen des Westens reagierenden Formen.

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Wien - Es gebe, sagt der Ethnologe Thomas Hauschild, drei Grundlinien im Denken über die Selbstmordattentäter von Al-Kaida: Dass sie allesamt Wahnsinnige seien. Dass sie einen grundsätzlichen globalen Kulturkampf führten. Und gelegentlich tauche noch die Randposition auf, dass es Al-Kaida gar nicht gebe, sie nur ein mediales Gespenst sei.

In seinem Vortrag am Montagabend im Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien führte Hauschild aus, warum er nicht nur mit dem dritten Standpunkt - "um den wird es nach Anschlägen immer ganz still" - unzufrieden sei: "Als Kulturwissenschafter möchte ich die Semantik der Taten in lokalen Nischen verorten." Soll heißen, als an der deutschen Universität Tübingen lehrender und forschender Experte für politisch-religiöse Geschichte und Riten insbesondere im Mittelmeerraum wollte er die Initiation der bereitwilligen Kämpfer und auch die vielschichtigen Botschaften der Attentate besser verstehen lernen.

An einem konkreten Beispiel: Der Selbstmordanschlag vom April 2002 auf eine Synagoge im nordafrikanischen Djerba galt nicht nur einem jüdischen Symbolbau. Er traf zugleich eine als philosemitisch eingestufte deutsche Reisegruppe und - eine weitere Dimension - ein Zentrum religiösen Zusammenlebens über Jahrhunderte, in dem kurz danach das jährliche, synkretistische Fest von Muslimen, Juden und Christen hätte gefeiert werden sollen. Hier würden, meinte Hauschild, kultische, seit Jahrhunderten bestehende Zusammenhänge freigelegt wie Babuschka-Puppen in Puppen, und sie würden die "glokalen" Taktiken von Al-Kaida erklären helfen.

In den Zustand der Auflösung geführt

Aus deren Warte gesehen: "Akte lokaler Reinigung", in Rituale eingebettet, wie man auch aus den Dokumenten ersehen konnte, die man bei den Selbstmordfliegern des 11. September 2001 fand. Es seien Anleitungen, die dazu dienten, die jungen, meist labilisierten Männer in einen Zustand der Auflösung, des "Flow" zu führen. Neben den paradiesischen Versprechungen werde, wie man ebenfalls weiß, natürlich nicht vergessen, die finanzielle Unterstützung der Familie nach dem Tod zu erwähnen.

Am Anfang sei die naive Angst gestanden, all das habe mit dem Islam an und für sich zu tun, der im Kampf der Kulturen den Westen bedrängt. Gegen die damit verbundene Überschätzung des Westens als einzigartige Kultur der Menschenrechte richteten dann Intellektuelle heftige Kritik: Ohne die Armut der Dritten Welt sei das Attentat des elften Septembers undenkbar. Diese globale Sicht vom spontanen Zusammenhang aus Armut und Terror könne aber angesichts der mittelschichtlichen Herkunft vieler Al-Kaida-Terroristen kaum Bestand haben.

Terror und Moderne

Hauschild schilderte die Sozialgeschichte der Terrorbewegungen also als ein schwer bestimmbares Gemisch von Tradition, Fanatismus und sehr viel Moderne. "Der Amokläufer ist ein moderner Mensch", zitierte der Ethnologe den Nahostexperten Joseph Croitoru. Es gebe eine Kontinuität der Selbstmord-Ideologie von den Kamikaze-Fliegern über Nordkorea und das erste Attentat in Israel (das übrigens von in Nordkorea ausgebildeten Japanern begangen wurde) bis zur Gegenwart.

Um Gegenstrategien sei es schlecht bestellt. Wenn es nicht gelinge, zumindest die westlichen Muslime in einen kulturellen Dialog einzubinden, dann werde das Projekt der Aufklärung mit all seinen Hunderttausenden von Websites, Datenbanken und Büchern vielleicht an einer Reaktion auf den Westen scheitern, die nur vorgibt, sich auf ein einziges altes Buch zu berufen: "Wenn zum Beispiel zum christlich-islamischen Dialog aufgerufen wird: Wer ist denn bei uns noch Christ?" So war denn der volle Saal auch etwas ratlos angesichts der von Hauschild präsentierten Faktenlage. Cultural Studies mögen ein neues Licht auf das Feindbild Al-Kaida werfen, Antworten haben auch sie nicht parat.

Was US-Präsident George W. Bush anders tun würde, wenn er ihm zuhörte, wurde Hauschild schließlich gefragt. Wenn er zuhörte, so die aufgelegte Antwort, dann wäre er nicht Präsident Bush. (Michael Freund/DER STANDARD, Printausgabe, 26.1.2004)