In der Tat hat Haider der Killerinstinkt oder, politischer formuliert, der Wille zur endgültigen, wirklichen Macht immer dann verlassen, wenn er seinem Ziel ganz nahe schien. Es scheint sogar, dass er dann halb- oder unbewusst eine kontraproduktive Handlung setzte, meist eine Sympathieerklärung für NS-Inhalte, um nur ja nicht die letzte Entscheidung zur Macht treffen zu müssen.
Haider ist kein Nazi. Er denkt und redet zwar immer wieder wie ein Nazi. Aber die Nazis waren unerbittlich, brutal, kompromisslos in ihrem Zugriff auf die Macht. Haider hingegen spielte mit dem Gedanken. Die Nazis hätten sich niemals mit der zweiten Geige zufrieden gegeben, wie Haider beim Koalitionsabschluss 2000. Ein Hitler steuerte die Macht, die volle Macht, unbeirrbar, monomanisch an.
Haider stimmte schon in den Vorgesprächen mit Schüssel zu, dass die ÖVP selbstverständlich den Kanzler stellen werde. In Wahrheit hatte Haider Angst - vor der Verantwortung, vor der "internationalen Meinung", aber am meisten vor sich selbst. Der Widerstand, der ihm von seinen österreichischen und ausländischen Kritikern entgegenschlug, war sehr wohl effektiv. Der desaströse Verlauf der Goodwilltour durch Europa, auf die ihn Schüssel noch vor dem Koalitionsabschluss im Winter 1999/2000 geschickt hatte, dann die EU-Sanktionen, zeigten ihm, womit er zu rechnen hätte.
Deshalb zog er auf allen Linien zurück, statt stur die Kanzlerschaft anzupeilen (und sei es beim nächsten Mal, wie ihm Dichand, taktisch richtig, riet). Außerdem hat er Selbsteinsicht. Er kennt seine delikate Psyche, seine Stimmungsschwankungen, seine Kasperliaden, mit denen er sich immer wieder aus dem Machtspiel wegblödelt. Ein Hitler hätte nie ein grinsendes "Bin schon weg, bin wieder da"-Spiel getrieben.
Haben wir langjährigen Haider-Kritiker also die Gefahr überschätzt? Haben wir seit fast 20 Jahren, seit Haiders Putsch an die FPÖ-Spitze 1986, überflüssigerweise gegen ihn gekämpft? Natürlich nicht. Denn seine Inhalte, seine Substanz waren und sind schwerst demokratiegefährdend. Das konnte man keinem Politiker, noch dazu einem, der von zehn auf 27 Prozent stieg, durchgehen lassen. Ganz abgesehen davon, dass ihn irgendeine politische Unglückskonstellation doch an die Macht tragen hätte können.