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Auf der Suche nach Normalität: Viktor Juschtschenko bei Wladimir Putin im Kreml. Kurz vor der Abreise aus Kiew wurde die Ernennung Timoschenkos bekanntgegeben.

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Einen Tag nach seiner Angelobung und unmittelbar vor seinem Russland-Besuch hat der neue ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko mit seiner ersten Personalentscheidung viele überrascht. Seine Mitstreiterin, "Revolutionsführerin" Julia Timoschenko, wurde am Montag als geschäftsführende Premierministerin eingesetzt. Juschtschenko hatte ihr im Falle eines Wahlsieges das Amt versprochen, führte sie angeblich zuletzt aber nicht mehr als Wunschkandidatin, da sie das Land polarisiere.

Zum Sekretär des Sicherheitsrates wurde der zweitgereihte Premierkandidat Pjotr Poroschenko, zum Stabschef Juschtschenkos Wahlkampfleiter Oleksander Sintschenko ernannt.

Skepsis im Parlament

Timoschenko muss erst im Parlament bestätigt werden, wo sie auf mehr Widerstand stößt als etwa Poroschenko oder Sintschenko. Ob Juschtschenko auf eine Ablehnung Timoschenkos im Parlament spekuliert, um danach doch einen anderen Kandidaten duchzubringen, ist vorerst offen. Ein solches Szenario hatte jedenfalls Wladimir Malinkowitsch vom Institut für Politische Forschung in Kiew bereits vor der Kaderentscheidung im Gespräch mit dem STANDARD skizziert.

Die im Juschtschenko-Lager sehr beliebte neoliberale Timoschenko gehört dem kompromissloseren nationalpatriotischen Lager an; in den schwierigen Tagen der Revolution hat sie die Demonstrationsbewegung aufrechterhalten. Es wird vermutet, dass sie sich an früheren Machthabern rächen wolle, durch die sie selbst viel verloren hatte.

In keinem Fall jedenfalls gilt sie als Idealbesetzung zur Überwindung der Spaltung im Land und zur Glättung der Beziehungen zu Moskau, zumal sie kürzlich den Revolutionsexport in die übrigen Ex-Sowjetstaaten propagierte und in Moskau wegen Bestechung mit Haftbefehl gesucht wird. Gleichzeitig unterstrich sie wiederholt die Priorität der Beziehungen zu Moskau.

Juschtschenko wollte mit der schnellen Entscheidung offensichtlich dem Verdacht begegnen, dass er die Personalfrage zuvor mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin besprechen wolle. Die Ereignisse in der Ukraine haben die Beziehungen zu Russland schwer belastet.

Juschtschenko signalisierte mit der Blitzvisite am Montag einen Neubeginn und dürfte Putin hinsichtlich Timoschenkos beruhigt haben. Er wolle binnen eines Jahres "vernünftige und beiderseitig vorteilhafte Beziehungen zu Russland" herstellen, erklärte Juschtschenko in Moskau. Während des ukrainischen Wahlkampfes hatte Russland offensiv den bisherigen Premier Viktor Janukowitsch unterstützt, was Putin schließlich seine bisher schwerste außenpolitische Niederlage einbrachte.

Putin ist "froh"

Am Montag zeigte sich der Kremlchef gegenüber Juschtschenko um neue Normalität bemüht: Er hoffe auf vertrauenswürdige Beziehungen, und: "Wir sind froh, dass sich die Situation in der Ukraine stabilisiert." Russland ist der wichtigste Handelspartner der Ukraine. Von den Importen kommen 39 Prozent aus Russland, großteils Energie, gegenüber 32 aus der EU.

Am heutigen Dienstag tritt Juschtschenko vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg auf. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.1.2005)