Es ist kaum auszudenken, wie Marcel Wanders auf die Idee der "Airborne Snotty Vase" gekommen ist: Beäugte er nach dem Schnäuzen immer sorgfältig sein Taschentuch, als könne er daraus seine Zukunft lesen? Oder nieste er auf seinen Schreibtisch und wusste: "Das ist es"? Die Form der kunstvoll verschlungenen Vase basiert nämlich auf einem Schnäuzpartikel. Eine neuartige Technologie, das "Selective Laser Sintering", macht es möglich: Anhand eines 3-D-Scans des Partikels schmelzt der Laserstrahl kleinste Staubkörner aus Polyamid zusammen. Heraus kommt eine wahrlich, nun ja, (Rotz-)Vase. Man mag es drehen und wenden, wie man will - aber so hübsch können Popel sein, zumindest in ihrer Grundstruktur. Doch dazu später.

Foto: Studio Marcel Wanders

Humor lässt sich der Holländer Marcel Wanders sicher nicht absprechen. Der 41-Jährige, der in den 90er-Jahren mit der holländischen Gruppe "Droog Design" zum Shootingstar wurde, will seine Arbeiten aber nicht darauf reduziert sehen. "Zu gefährlich", sagt Wanders, "denn über einen Witz lacht man nur ein Mal. Meine Produkte aber sind nicht lustig, sondern sie haben etwas, das uns Freude macht." Wie das funktioniert? Indem jedes Design immer etwas Neues zu bieten habe. Ein Stuhl bleibt zwar ein Stuhl, aber sobald er etwas Unvertrautes an sich hat, rührt er die Menschen: "Das ist dann tatsächlich wie bei einem Witz: Erst scheint man es zu kennen, dann aber macht es ,klick', und es geht in eine andere Richtung als gedacht."

Foto: Studio Marcel Wanders

"Klick" macht es beispielsweise bei Wanders' "V.I.P. Chair", den er anlässlich der EXPO 2000 in Hannover entwarf. Wie ein behäbiger Koloss mit massigen Elefantenstampfern wirkt der Sessel, doch flink wie ein Wiesel lässt sich auf ihm durch den Raum flitzen - den versteckten Rollen sei Dank. Oder seine Tischlampe "BLO" für Flos. Wer sie sieht, fühlt sich an Schwarz-Weiß-Filme erinnert, in denen alte Damen in Nachthemd und Nachtmütze zu Bett schlurfen, in der Hand eine brennende Kerze auf einem eisernen Untersatz. Und tatsächlich lässt sich Wanders' Lämpchen nicht mit einem Schalter ausknipsen, sondern - ausblasen. Eine liebevolle Reminiszenz an die Vergangenheit, möglich gemacht durch modernste Technik. Und der Trick, den Betrachter so zum Lächeln zu bringen, funktioniert jedes Mal.

Foto: Studio Marcel Wanders

Wichtig sei die Information, die Design kommuniziere: "Gutes Design muss immer eine Geschichte erzählen." Ist auch der Erzähler Wanders in seinen Objekten immer wieder zu erkennen? Er habe keinen einheitlichen Stil, sagt der Designer über sich selbst, ja, er sei sogar stillos: "Ich würde es eher eine bestimmte Mentalität nennen. Mir ist wichtig, dass ich bestimmte Dinge neu mache. Nur funktionelle Objekte interessieren mich nicht. Sie sollen visuelle, intellektuelle und emotionale Qualität haben." Wer immer nur einem bestimmten Stil folgt, sagte Wanders einmal, gehe nicht mehr hundertprozentig offen an neue Aufgaben heran. Wanders mag es, wenn Menschen Spaß an seinen Produkten haben. Diese Freude sei ihm sogar wichtiger als das Geld, das sie für sie bezahlen, schrieb er in einem Aufsatz für die japanische Designzeitschrift Axis.

Foto: Studio Marcel Wanders

Das mag vielleicht unglaubwürdig klingen für einen Designer, um den sich Auftraggeber wie Mandarina Duck, Magis oder Boffi reißen, der den Rotterdam Design Prize erhielt, der mehrfach als "heißester Nachwuchsdesigner" oder gar "Designer des Jahres" gehandelt wurde und dessen bekanntester Stuhl, der "Knotted chair", im Museum of Modern Art in New York steht.In Wanders' Aussage steckt aber vielleicht auch ein Stück Erfahrung, die er mit dem "Knotted chair" machte: Der Stuhl aus einem Seil mit Karbonkern, der an ein Makrameegeflecht erinnert, ist zwar rund eine Milliarde Mal in den Medien abgebildet worden. Doch er verkaufte sich nur knapp tausendmal.

Foto: Studio Marcel Wanders

Überhaupt war Wanders Schwierigkeiten am Anfang seiner Karriere gewohnt: So eröffnete er, der an drei Kunstakademien studierte hatte (nachdem er in Eindhoven wegen Unbelehrbarkeit von der Schule verwiesen worden war), im Jahre 1995 sein Studio "Wanders Wonders" vor allem deshalb, weil kein Produzent seine Entwürfe herstellen wollte. Sieben Jahre später lief die Firma so gut, dass sie mehr und mehr Wanders' Zeit fraß: Zeit, die ihm für seine Entwürfe fehlte. Deshalb verkaufte er 2001 den kommerziellen Teil seiner Firma, um sich nicht mehr um Produktion und Vermarktung seiner Produkte kümmern zu müssen. Nun heißt die Firma "Moooi", für die Wanders auch als Art-Director Wanders arbeitet: Er wählt die Gestalter aus, die, neben ihm, für das Label entwerfen.

Foto: Studio Marcel Wanders

Die Herausforderung an alle: Die Objekte sollen industriell hergestellte Unikate sein. Wie das geht? Etwa mit den "Splittervasen": Jede der einheitlichen, geblasenen, schweren Vasen wird mehrmals auf den Boden fallen gelassen, damit sie ihren unverwechselbaren Look der gesplitterten Oberfläche erhält. Im Moment sitzt Wanders an zwei Hotelprojekten, für New York und für Amsterdam. An dem holländischen Appartementhotel, das sein eigenes Projekt ist, hängt sein Herz besonders: "Ich schaue dieses Mal gar nicht auf die Stunden, die ich dort hineinstecke. Deshalb gestalte ich sogar Details wie Mosaike für die Tische oder Wandbilder." Dieser Tage ziehen die ersten Gäste in das Gebäude aus dem 16. Jahrhundert ein. Noch mehr mit Architektur zu tun hat er in Mexiko, wo er an einem 17-stöckigen Wohnungsprojekt tüftelt. Dort setzte sich Wanders im Wettbewerb gegen zehn Architekturgrößen durch. Und das, obwohl er kein Architekt ist.

Foto: Studio Marcel Wanders

"Aber im Grunde ist es egal, ob ich einen Tisch oder ein Haus entwerfe", sagt Wanders: "Wer keinen Tisch entwerfen kann, kann auch kein Haus entwerfen. Wenn man aber Ideen hat, ist nichts unmöglich." Manchmal sind die richtig harte Arbeit: Der rotzige Einfall für die "Snotty-Vase" kam Wanders denn auch nicht einfach so, an einem Schnupfentag. Analyse war gefragt, denn die neue Lasertechnologie zur Produktion der Vase wollte Wanders auch durch eine neue Form ausdrücken.

Foto: Studio Marcel Wanders

Also dachte er an dreidimensionale Objekte. Zu normal. Dann an fliegende Objekte. Zu normal. Schließlich wollte er etwas abbilden, was wir noch nie gesehen haben. Irgendwann die Rettung: fliegende Rotzpartikel! Heute sagt Wanders dazu: "Klar fand ich es schön, dass die Story auch etwas eklig ist."
marcelwanders.com
moooi.com
(Der Standard/rondo/Mareike Müller/21.01.2005)

Foto: Studio Marcel Wanders