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Foto: REUTERS/ACHIM BIENIEK/etat.at
Das Gedankenjahr für Österreich hat würdig begonnen. Die Schwaden, mit denen sich die Koalitionsparteien um den Jahreswechsel in einer ersten Serie ganzseitiger Inserate - es wird gewiss nicht die letzte sein - beweihräucherten, waren geeignet, auch jenen Landsleuten, denen Politik gleichgültig ist, einzuprägen, was der Regierung 2005 wichtig ist: die nächste Nationalratswahl.

Auf dezent bräunlichem Untergrund unterbreiteten da der Kanzler und sein Vize dem Volk Vorschläge, woran es sich erinnern sollte - also woran besser nicht -, begleitet von der Einladung, an den vielen Veranstaltungen teilzunehmen, mit zu diskutieren, Österreich neu zu entdecken und zu feiern. So begierig nach breiter Beteiligung waren sie noch bei keinem ihrer Projekte, seit sie amtieren.

An die Spitze der Anlässe zu feiern stellten sie den Termin 100 Jahre Friedensnobelpreis an Bertha von Suttner, vermutlich um die Belästigung durch 1 Jahr Literaturnobelpreis für Elfriede Jelinek aus dem eigenen Gedächtnis und dem der "Krone"-Leser zu tilgen. Wenn es darum geht, Österreich neu zu entdecken, kann man gar nicht weit genug zurückgehen. Dass "190 Jahre Wiener Kongress" auf der Agenda der Millimetterniche fehlt, kann nur Schlamperei sein.

Ein zeitgemäßes Geschichtsbild vermitteln die beiden nächsten Punkte 85 Jahre österreichische Verfassung und 60 Jahre Republik, wurde doch die Republik nicht vor 60 Jahren, sondern bereits durch die nunmehr 85 Jahre alte Verfassung mit Leben versehen, und zwar als eine, deren Recht vom Volke ausgeht. Natürlich wäre es pietätlos, wenn zwei Parteien, deren geistige Ahnen dem Volk seine Rechte schon einmal nachdrücklich ausgetrieben haben, dasselbe nun einladen, die erste statt der vor 60 Jahren wieder erstandenen Republik zu feiern. Daher historisch falsch, aber vom Taktgefühl her richtig: 60 Jahre Republik.

Zwischen 50 Jahre Staatsvertrag und 10 Jahre EU-Mitglied schob sich auch der denkwürdige Termin 50 Jahre Fernsehen. So kurz nach "60 Jahre Chefredakteur Mück" musste das einfach sein, außerdem hat das rechtzeitige Jubiläum dieses weltweit einzigartigen Kulturinstituts den Vorteil, dass die FPÖ dagegen stets weniger Vorbehalte hatte als gegen die Schildlaus-Union. Schade, dass eine größere Lebensmittelkette ihr rundes Jubiläum schon 2004 abfeiern musste. Leider fehlt es manchmal noch am Willen zum Schulterschluss.

Inserate gaben aber auch konkreteren Anlass für Feierstimmung. Seit 1. Jänner 2005: Weniger Steuern. Mehr fürs Leben lautete dieser Tage eine andere Information der Bundesregierung. Um jeden Geruch von Parteilichkeit zu vermeiden, sei der dort aufgestellten Behauptung, die Steuerreform bringt allen Österreicherinnen und Österreichern im neuen Jahr weniger Steuern, mehr Geld in der Brieftasche und damit mehr Geld fürs Leben keine eigene Beobachtung, sondern eine des "Kurier" gegenüber gestellt, der die Information der Bundesregierung auf den Boden der Tatsachen brachte. 2005: Wahlen, Jubiläen und ein tiefer Griff in die Taschen. Manche wollen einfach keine Feierstimmung aufkommen lassen.

Als Information der Bundesregierung wurde der Steuerjubel wohl nur ausgegeben, weil man sich in derselben nicht einigen konnte, welche der Koalitionsparteien den Proteus in der Himmelpfortgasse nun für sich beanspruchen dürfe. Wo es um die ganzseitige Bejubelung der Pensionsreform ging, waren Sozialminister Herbert Haupt und seine Staatssekretärin Ursula Haubner nicht gewillt, das Verdienst denen zu überlassen, die von Anfang an wussten, wie sie ihre Klientel zu bedienen gedachten. Sie bereicherten die Initiative des Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz sogar um ihre Porträts. Die Feierlaune des Volkes zum Überschäumen zu bringen, scheuen sie keine Mühe.

Ein historisches Jahr ist 2005 aber nicht nur für alle Freunde Berta von Suttners, der Verfassung, der 60-jährigen Republik, der UNO, der EU, des Staatsvertrags und des Küniglberges, sondern auch für HL-AG und ÖBB: Die beiden Unternehmen verschmelzen zu einer neuen Gesellschaft. Zu diesem Zweck verbreiteten sie eine vierseitige Beilage mit dem Titel Schienen in die Zukunft, und diese Schienen verfügen über wunderbare Fähigkeiten. "Schienen in die Zukunft" sprach mit Infrastrukturminister Vizekanzler Hubert Gorbach über die Bedeutung der ÖBB-Reform und den Ausbau der Schiene.

Aber nicht nur mit ihm, dessen Eigenlob mit einem Foto schmeichelhaft untermalt war. Ebenfalls abgelichtet freut sich der Ex-Finanzreferent der FPÖ Gilbert Trattner, seit 1. Jänner für den Finanz- und Immobilienbereich zuständig, auf die neue Herausforderung. Und über die künftige Erreichbarkeit von Regionen darf sich Jörg Haider auf einem Foto freuen - aber transnational, nicht per Koralmbahn, sonst wäre ein Foto von Waltraud Klasnic schwer zu vermeiden gewesen. Wozu gibt es das Gedankenjahr, wenn man sich nicht Gedanken macht? (DER STANDARD, Printausgabe, 4.1.2005)