Für das von der Flutkatastrophe betroffene Sri Lanka bringt das neue Jahr eine weitere schlechte Nachricht: Die Aufhebung aller Textilquoten in den USA und der EU könnten zehntausende Arbeitsplätze kosten.

Denn der Inselstaat zählte bisher ebenso wie Bangladesch, Kambodscha, Mexiko oder die Türkei zu den Gewinnern des komplexen Quotensystems. Nun könnte ein Großteil der Textilindustrie nach China abwandern, das die Welt dann mit Billigfetzen überschwemmt.

Für manche Kommentatoren ist dies eine weitere ominöse Entwicklung aus dem Fernen Osten. Das Reich der Mitte hat im vergangenen Jahr den Aufstieg zur globalen Wirtschafts- und Handelsmacht endgültig geschafft.

Nun, so die Sorge, bedroht es nicht nur den Wohlstand in unseren Breiten, sondern auch die Existenz der Ärmsten der Welt. Wer die internationale Wirtschaft als beinharten Wettkampf mit klaren Gewinnern und Verlierern betrachtet, dem können Chinas phänomenale Wachstumszahlen schlaflose Nächte bereiten.

Das ist - wie jeder Ökonom bestätigen kann - ein ausgemachter Unsinn. Der Welthandel ist kein Nullsummenspiel, in dem der Gewinn des einen auf Kosten des anderen geht, sondern eine internationale Arbeitsteilung, von der alle beteiligten Länder profitieren.

2004 war China der Hauptmotor der Weltkonjunktur und hat damit auch in Österreich tausende Arbeitsplätze gesichert. Seine niedrigen Produktionskosten dämpfen unsere Inflation und ermöglichen dadurch niedrigere Zinsen.

Und für jeden Job, der nach China abwandert, entsteht dort ein Verbraucher, der eines Tages auch hochwertige Produkte aus Europa oder den USA erwerben will.

China kann schließlich nicht alles produzieren, was die Welt konsumiert - und wenn es das doch könnte, dann würden die Löhne so hoch steigen, dass die chinesischen Betriebe nicht mehr wettbewerbsfähig wären.

In Chinas boomenden Küstenregionen ist dies bereits zu beobachten. Deshalb wandern viele Industrien von der Küste ins Landesinnere ab; auch die neuen Textilproduzenten werden sich eher in Sichuan als in Schanghai niederlassen. Im Inneren ist China ein armes Entwicklungsland geblieben, das dringend auf neue Arbeitsplätze angewiesen ist. Hier bietet die arbeitsintensive Textilindustrie die besten Chancen - vor allem Frauen.

Auch Indien, das Land mit den meisten Armen der Welt, soll laut Prognosen vom Ende der globalen Textilquoten profitieren. Die Verlierer - und dazu gehören natürlich auch Textilarbeiter in den reichen Ländern - müssen sich in einem für viele schmerzhaften Anpassungsprozess auf andere Produkte umstellen oder aber versuchen, durch höhere Qualität und Spezialprodukte ihre Marktanteile zu verteidigen.

Gerade Sri Lanka und Bangladesch könnte dies nach Meinung von Experten gelingen. Billigere Massenwaren aus chinesischer Produktion werden wiederum auch Verbrauchern in armen Ländern zugute kommen.

Wer sich über China Sorgen machen will, sollte sich besser mit anderen Fragen beschäftigen. So besteht die Gefahr, dass verschleppte Reformen und wirtschaftspolitische Fehler in eine Finanzkrise münden - wie einst in den asiatischen Tigerstaaten.

Vor allem die maroden Banken, die faule Kredite für staatsnahe Unternehmen in ihren Büchern stehen haben, sind eine stete Quelle der Instabilität.

Doch bisher scheint die chinesische Führung alle wirtschaftlichen Klippen geschickt zu umschiffen. Die Konjunktur schrammt zwar seit Jahren knapp an der Überhitzung vorbei, aber dank restriktiver Maßnahmen kühlte sie sich zuletzt etwas ab. Da passt hinein, dass sich China durch Exportzölle gegen einen übermäßigen Anstieg der Textilausfuhren schützen will.

Die KP-Funktionäre in Peking beweisen jedenfalls mehr ökonomischen Verstand als ihre ideologisch beseelten Kollegen im Weißen Haus. Die größten Risiken für die Weltwirtschaft gehen heute von den USA aus, die größten Chancen von China. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 03.01.2005)