derStandard.at/Moser

Monika Sperber und Gerd Götzenbrucker besuchten zum kulinarischen Stelldichein die Hotspots der Szene.

Was im englischen Sprachraum der Fastfoodladen und in wärmeren Gefilden Kebabstand oder Imbissbude, ist dem Wiener sein Würstelstand. Beinahe schon klischeehaft ist er jener Ort, an dem alle gesellschaftlichen Schichten in einer sozialen Grauzone zusammentreffen. Ein Ort, an dem man miteinander spricht, isst, trinkt, philosophiert, politisiert, lacht, streitet und sich versöhnt – ein gesellschaftlicher Mikrokosmos, in den man kurzzeitig eintaucht.

Gegründet während der k. u. k. Monarchie, um Kriegsinvaliden ein Einkommen zu sichern, hat sich der Würstelstand im Laufe der Zeit zu einer tragenden Säule der Wiener kulinarischen Identität entwickelt. Standorte typischer Würstelbuden zu nennen ist müßig, denn man stößt fast an jeder Ecke auf einen mit durchwegs bemerkenswerten Angebot: Würste aus Wien (Käsekrainer, Burenwurst) und dem Waldviertel (Waldviertler) werden ebenso dargeboten wie frisch Gegartes und Gebratenes aus München (Weißwurst), Bosnien-Herzegowina (Bosna) oder der Schweiz (St. Gallener Bratwurst). Hotdogs und Leberkäse runden den cholesterinverachtenden Spezialitätenmix ab.

Für den Durst gibt's Bier (mitunter auch vom Fass), in Stifterln abgefüllten Wein und natürlich Frucade oder das legendäre Himbeerkracherl. Die Liebe zum Detail offenbart sich in einem breiten Sauergemüse-Potpourri und einer verlockenden Süßwarenabteilung. So darf's nicht verwundern, dass der Wiener Würstelstand in Anlehnung an das noble Hotel auch liebevoll "kleines Sacher" genannt wird. Die Kriterien:

Wurst ist nicht gleich Wurst, vor allem dann, wenn es sich um die Zubereitung jener leicht geräucherten Brühwurst aus Schweinefleisch handelt, die mit einem zehn- bis zwanzigprozentigen Käseanteil durchzogen ist. Käsekrainer sind die Klassiker im Wiener Würstelstand-Repertoire und können gekocht oder – was beliebter ist – gebraten oder gegrillt werden. Dazu sollten sie wiederholt angestochen werden und bei nicht zu großer Hitze garen, damit der austretende Käse nicht verbrennt.

Mit diesem Wissen schritt das Testteam zur Tat und orderte an ausgesuchten Locations ein standardisiertes Würstelstand-Dinner bestehend aus einer Käsekrainer mit Brotstück, frisch geriebenem Kren und Gurkerl mit dazugehörigem Flaschenbier (0,33 Liter und wenn möglich aus heimischer Produktion).

Neben der kulinarischen Beurteilung (Geschmack und Optik) wurde besonderes Augenmerk auf Angebot, Service und Standhygiene gelegt. Entscheidend waren weiters freundliche Bedienung, ein – vom sozialen Standpunkt aus – inhomogenes Publikum und möglichst großzügige Öffnungszeiten. Die Ergebnisse:

Würstelstand "Zum kleinen Sacher"
7., Lerchenfelder Gürtel (U6 Thaliastraße);
tägl. 17-4 Uhr

Eine einzigartige Melange aus höchster kulinarischer Qualität (superbe Käsekrainer) und sozialem Abenteuer bietet das Etablissement an der auch zu später Stunde stark frequentierten Gürtelmeile. Der Traditionsstand überzeugt nicht nur mit einem bemerkenswerten Angebot an klassischen Wurstspezialitäten und Getränken (zehn Biersorten, offener Qualitätswein), sondern vor allem durch professionellen Service. Jeder Wunsch wurde förmlich von den Lippen abgelesen, die Wurst portionsgerecht in Scheiben geschnitten, der Kren von Hand gerieben. Serviert wurde das Mitternachtsmenü stilgerecht auf Teller mit Serviette, zum Bier wurde selbstverständlich ein Glas gereicht. Hier stimmt einfach alles, die Grillzeit der Käsekrainer ebenso wie das Kolorit des würstelessenden Publikums. Punkte: 8,7

Buffet Pavillon
3., Stadtpark, vis-à-vis vom MAK; tägl. 11-1 Uhr

Dunkelrot, ein bisschen Stadtpark-Architektur, ein paar Säulchen, Marmorimitate, dahinter der Stadtpark und vis-à-vis das MAK und das Café Prückel – für einen Würstelstand ein durchaus herzeigbares Ambiente. Da passt auch der Fiaker, der sich schnell eine Leberkässemmel holt, gut ins Bild. Auch die Käsekrainer war überzeugend: Knackig mit brauner Kruste lag sie in trauter Einigkeit mit Gurkerl, Serviette und einem herrlich frischen Brot auf dem Teller. Darüber hinaus bestach das Buffet Pavillon mit diversen Wurstspezialitäten (Waldviertler, Weiß-, Currywurst), breiter Getränkeauswahl (Kaffee aus der Saeco-Maschine, Tee, Zipfer vom Fass, Punsch), freundlicher Bedienung und blitzblankem Innenraum samt Plastikblumen. Ein Anwärter für Platz eins, wäre da nicht die Sache mit dem fehlenden Kren und die gar nicht nachtschwärmerfreundlichen Öffnungszeiten . . . Punkte: 8,3 Leo's Würstelstand
19., Nussdorfer Str. (Gürtel); tägl. 10.30-6 Uhr

"Alle Wege führen zum Würstelstand Leo" steht in großen Lettern auf einem Hinweisschild am Inneren Gürtel und sorgt bereits auf der Anreise für gute Stimmung im Testteam. Ihn gibt es schon ewig – zumindest, was ein Würstelstandleben betrifft, nämlich seit 1928. Damit ist er der älteste Wiens. Da Tradition verpflichtet, wird auf Qualität geachtet. Die georderte Käsekrainer überzeugte sowohl in Geschmack als auch in Konsistenz. Das heimische Hopfen-Malz-Getränk wurde bestens temperiert mit Glas serviert. Der Umgang mit der Ware ist höchst professionell, die Hygiene einwandfrei, das Sortiment verblüffend: mehrere Biersorten, offener Wein (glasweise), Limos aller Art, Salziges und Süßes in allen Variationen. Das Publikum ist gemischt, die Stimmung zumeist ausgelassen. Punkte: 8,1

Naschmarkt Stadl
6., Naschmarkt; tägl. 17-5 Uhr

Trotz Verkehrsknotenpunkt am Beginn des Naschmarktes hat dieser kleine Würstelstand etwas Heimeliges. Nicht zuletzt liegt das vielleicht an dem grantelnden Würstelstandmann, der keine Servietten ausgibt und erst auf Nachfrage mit einem "Servietten san do" auf die Möglichkeit zur Selbstbedienung hinweist. Dennoch: Die Käsekrainer – auf einem Pappteller – war mild, geschmacklich gut und nicht sehr fett (allerdings fehlte die knusprige Haut), das Gurkerl knackig, das Brot frisch und die Preise auffallend niedrig. Die Frage nach Kren wurde mit "Gibt's kan" beantwortet, zum Bier ein Plastikbecher gereicht. Der wienerische Gleichmut liefert zumindest für das bunt gemischte Publikum Gesprächsstoff. Punkte: 7,5 Würstelstand am Hohen Markt
1., Hoher Markt; tägl. 7-5 Uhr

Ein Archetypus des Wiener Würstelstandes, der so gut wie alle Kriterien erfüllt, steht gut besucht am Hohen Markt. Nicht nur die seinem Ruf vorauseilende Topqualität der Wurstwaren zeichnet den sechseckigen Großstand im Wiener Zentrum aus, sondern auch das reichhaltige Angebot von verschiedenen heimischen Spezialbieren, antialkoholischen Getränken (Himbeerkracherl) und Süßwaren. Dennoch wurden die hohen Qualitätsansprüche des Käsekrainer-verwöhnten Testteams dann doch nicht ganz erfüllt: Der Wurst, obwohl optisch einwandfrei, fehlte die geschmackliche Note, das Menü wurde etwas lieblos auf einem Pappteller vorgesetzt. Positiv hingegen wirkte das Ambiente: Umweht von einer leichten Pferdegeruchscuvée des nahen Fiakerstandes trifft sich hier ein wahres Sammelsurium von Großstadtoriginalen und Nachtschwärmern. Punkte: 7,3

Bitzinger's Würstelstand Albertina
1., Augustinerstr.; Mo-Sa: 7-4; So/Ftg: 10-4 Uhr

Zeigen sich in Gürtelnähe oftmals "übrig gebliebene" Originale der Vorstadt, so verhält sich das Würstel essende Publikum in der City eher zurückhaltender. So auch am Stand gleich hinter der Oper, einem Klassiker unter den knapp 290 Imbissbuden der Stadt. Mit hochgesteckten Erwartungen ging's dann auch ans nächtliche Mahl, aber die Euphorie wurde alsbald gebremst: Unfreundliche Bedienung, der Sonderwunsch nach frisch geriebenem Kren wurde prompt abgeschmettert. Was blieb, war eine viel zu lang gegrillte und ergo ausgetrocknete Käsekrainer, lustlos serviert auf einem Pappteller. Erst auf Anfrage gab es Servietten, und zum Bier musste ein Plastikbecher herhalten. Obwohl kulinarisches Angebot und Getränkekarte vielfältig und die Hygiene 1A sind, überwiegt doch die Enttäuschung. Punkte: 6,2
Die Autoren danken den Käsekrainer-Spezialisten Gerit G., Maria. S., Jaqueline C. und Christian H. für ihr Stehvermögen sowie ihre Cholesterin- und Kälteresistenz. (Der Standard, Printausgabe 31.12./1./2.1.20059