Moskau werde sich mit einem ukrainischen Präsidenten Juschtschenko abfinden und seine Politik im postsowjetischen Raum ändern müssen, sagt der russische Politologe Andrej Piontkowski im Gespräch mit Eduard Steiner.

Standard: Welche Politik wird Russland einschlagen?

Piontkowski: In letzter Zeit klingt eine Annäherung an – Putin hat sie in Deutschland geäußert. Auch bei seinem traditionellen Jahresauftritt vor den Journalisten hat er gesagt, dass wir Juschtschenko ja als Premier kennen und mit ihm arbeiten werden. Moskau hat keine besonderen politischen oder gewaltsamen Hebel für einen Einfluss in der Ukraine – daher wird es sich mit der Situation abfinden müssen.

Standard: Juschtschenko spricht sogar von einer strategischen Priorität für Russland.

Piontkowski: Aber das gilt wohl auch für Kanada und die USA oder für Deutschland. Das heißt aber auf keinen Fall, wovon unsere politische Klasse träumt, nämlich eine Dominanz auf postsowjetischen Raum oder ein liberales Imperium – das braucht niemand. Ich hoffe jedenfalls, dass die Ukraine eine Lehre zur Ernüchterung der ganzen politischen Klasse in Russland ist.

Standard: Juschtschenko versprach dem russischen Business, es bei einer Revision der Privatisierungen nicht zu berühren.

Piontkowski: Er wird wahrscheinlich wirklich nicht darauf aus sein. Zumal russisches Kapital im Unterschied zur russischen Politik Juschtschenko – auch finanziell – unterstützt hat. Diese Unterstützung wird wohl weitergehen und auch die Mythen russischer Politologen zerstören; denn in Wirklichkeit wurden gerade unter Janukowitsch als Premier russische Firmen aus dem Markt gedrängt – etwa im Stahlbereich.

Standard: Welche Rolle hat die GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) noch für Putin?

Piontkowski: Die Ereignisse in der Ukraine sind der finale Schlag gegen die Konzeption einer Dominanz im GUS-Raum. Putin wird diese Konzeption wohl oder übel revidieren müssen. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.12.2004)