Standard: Was macht Hans Krankl im Sommer 2006? Krankl: Eine gute Frage. Wahrscheinlich bin ich in Italien.

Standard: Sie bleiben also der WM in Deutschland fern?
Krankl: Das habe ich fast vergessen. Italien ist aber nicht weit, da kann man zu Spielen anreisen.

Standard: Sie glauben also nicht, dass Sie dort berufliche Verpflichtungen haben. Zum Beispiel als Trainer des österreichischen Nationalteams?
Krankl: Ich würde es mir wünschen, aber es ist nicht realistisch. Ich beschäftige mich nicht dauernd damit. Jeder erwartet, dass ich sage, wir sind dabei. Aber wahrscheinlich bin ich in Italien, das Wort Jesolo vermeide ich, das Gerede steht mir bis da oben. Natürlich existiert noch die kleine Möglichkeit der Qualifikation. Da würde ich auf mein geliebtes Italien gerne verzichten.

Standard: Und wo sieht sich Krankl im Sommer 2008? Zur Erinnerung: Da findet in Österreich die EM statt.
Krankl: Keine Ahnung. Ob ich dann noch Teamchef bin, entscheiden andere. Dass ich es gerne wäre, habe ich schon oft dokumentiert. Der Job liegt mir am Herzen. Dass etwas weitergegangen ist, müssen auch die Kritiker einsehen.

Standard: Wäre mit einem längerfristigen Vertrag das Arbeiten einfacher?
Krankl: Nein, mir ist das Szenario bekannt, ich bin lange genug Trainer. Im März fällt die Vorentscheidung, ich weiß, dass sich manche Menschen einen anderen Teamchef vorstellen können.

Standard: Ivica Osim, der immer wieder als möglicher Nachfolger gehandelt wird, sagte, man müsse Krankl mehr Zeit und Rückendeckung geben. Er fügte hinzu, dass man Zeit leider nicht bekommt, da rasche Erfolge verlangt werden - auch in Österreich.
Krankl: Der Ivica Osim ist ein sehr erfahrener und anständiger Kollege. Das mit der Zeit spielt’s leider nicht. Die Kurzlebigkeit wird immer kürzer, speziell bei den Vereinen. Du kannst nach Spanien gehen und einen Vertrag für drei Jahre unterschreiben, nach ein paar Wochen bist du weg. Es gibt Kollegen, die darauf spezialisiert sind einzuspringen. Man kann dann zweieinhalb Jahre spazieren gehen. Für manche ist das okay, weil ihnen Geld wichtig ist. Andere wiederum leiden vor sich hin - ich zähle zu dieser Gruppe.

Standard: Ist der ÖFB-Teamchef eine arme Sau?
Krankl: Nein. Es gibt Probleme, aber arme Sau ist er keine. Ich bin stolz, dass ich Trainer dieser Auswahl sein darf, dass man mich dazu auserkoren hat. Es ist mir schlussendlich gelungen, Nationalspieler einzuberufen, die darauf stolz sind. Die nehmen das ernst und machen sich nicht insgeheim darüber lustig. Die sind mit Herz dabei, wissen genau, dass wir ein kleines Land sind, welches zu Überraschungen fähig ist. Gegen England, das den Fußball erfunden hat, haben wir ein 2:2 erreicht. Das sind so Dinge, die kann man nicht mit einer Prämie abgelten. Ich sage immer jedem Spieler: Es kommt nur auf dich an. Die Leistungen sind besser geworden, allein, es fehlen die Punkte. Es darf sich keiner zu viel erwarten, es geht in Österreich nur Schritt für Schritt. Eine explosionsartige Steigerung ist unmöglich. Am Beispiel Griechenland sieht man, was möglich ist. Oder erinnern wir uns an 1978, auch wenn es nervt. Auf Cordóba muss man stolz sein. Das hat mit dem Heute wenig zu tun, aber ’78 kann sich wiederholen. Wir waren niemand und haben die Welt begeistert. Das kann die heutige Generation auch schaffen. Sternstunden passieren immer wieder.

Standard: Im Gegensatz zu anderen, auch kleinen Nationen hat Österreich kaum Legionäre. Und die wenigen - zum Beispiel Roman Wallner und Roland Linz - spielen nicht.
Krankl: Tatsache ist, wenn ein Land viele Legionäre hat, steigen Erfahrung und Spielstärke. Natürlich müssten sie eingesetzt werden, vor allem bei bestimmten Vereinen. Ich war einst bei Barcelona, der Herbert Prohaska bei Inter und Roma. Der Markus Schopp ist zum Beispiel ein gestandener Profi, aber Brescia ist kein guter Verein. Wenn ich sehe, dass Wallner bei Hannover und Linz bei Nizza nur Reserve sind, dann sind wir doch wieder bei der "armen Sau". Aber das sind Probleme, mit denen ein österreichischer Teamchef fertig werden muss.

Standard: Sie stellen sich immer hinter die Mannschaft. Das ist prinzipiell ein feiner Zug, wirkt aber mitunter befremdlich. Nach dem 3:3 gegen das fußballerisch eher armselige Nordirland schwärmten Sie förmlich. Woher kommt dieser Beschützerinstinkt?
Krankl: Ich war immer ein Gerechtigkeitsfanatiker, das habe ich wahrscheinlich von meinem Vater, der 35 Jahre lang Schiedsrichter war, mitgekriegt. Der hat sich nie gefürchtet. Mein Verein, meine Mannschaft sind meine Familie - über meine Familie lasse ich nichts kommen. Alle Probleme, die wir haben, müssen wir intern klären. Das ist eine absolute Stärke von mir. Da kann man tausendmal schreiben, dass ich als Trainer noch nie Meister war. Eines habe ich überall erreicht: ein Gefühl der Geborgenheit. Diese Schutzhülle ist der Grundstein für alles Weitere.

Standard: Trotzdem wirken Sie bisweilen wie ein Realitätsverweigerer.
Krankl: Vielleicht - aber ich bleibe dabei, auch wenn Leute behaupten, jetzt dreht er völlig durch. Ich kritisiere nie einen Spieler in der Öffentlichkeit, außer er hat sich disziplinär etwas zuschulden kommen lassen. Intern gibt es schon kalt-warm, wenn einer seine Aufgabe nicht erfüllt.

Standard: Vertragen Sie Kritik?
Krankl: Wenn sie berechtigt ist, kann ich mich damit auseinander setzen.

Standard: Konkretes Beispiel: War es klug, den jungen Andreas Ivanschitz zum Kapitän zu machen?
Krankl: Absolut. Dieser Bub ist die Zukunft des Fußballs: jung, intelligent - den kann man herzeigen, der hat alles, was ein Fußballer haben soll.

Standard: Bei Rapid spielte er zuletzt aber eine eher untergeordnete Rolle, er wirkte überfordert. Zudem ist er nicht einmal im Klub Kapitän.
Krankl: Meiner Meinung nach hätte ihn Josef Hickersberger auch bei Rapid zum Kapitän machen sollen. Nichts gegen Steffen Hofmann - der ist sicher ein tolle Wahl. Es ist ein Blödsinn, dass Ivanschitz mit der Kapitänsschleife überfordert ist. Der fühlt sich geehrt. Außerdem haben wir viele Typen in der Nationalmannschaft, die ihm helfen. Es geht um die Symbolik.

Standard: Nach dem 2:2 gegen England haben Sie die Euphorie nicht gebremst. Hätten Sie nicht sagen sollen, dass man auf dem Boden bleiben muss - zumal das Resultat glücklich zustande gekommen ist?
Krankl: Für die Euphorie sind die Medien verantwortlich - aber natürlich auch aufgrund der Aussagen der Hauptbeteiligten, das gebe ich zu. Journalisten sind dann irrsinnig leiwand, wenn sie eine Euphorie entfachen. Mir ist das lieber als eine Begräbnisstimmung.

Standard: Sie haben anfangs nahezu wahllos Spieler einberufen. Später dann haben Sie die "Alten" wie Kühbauer oder Vastic doch zurückgeholt. Da war keine Linie ersichtlich.
Krankl: Es stimmt, ich habe mich ununterbrochen korrigiert. Du musst dich als Teamchef dauernd korrigieren. Ich musste mich mit dem Problem Kühbauer auseinander setzen - das hat leider zwei Jahre lang gedauert. Ich habe immer gewusst, dass der einer ist, der mir liegt, weil er auch ein Rapidler war. Es hat aber aus verschiedenen Gründen nicht geklappt, weil er eine starke Persönlichkeit ist. Beide sind wir sture Hunde. Aber ich lerne - jedes Trainingslager, jedes Spiel ist eine neue Erfahrung.

Standard: Vermissen Sie Rückendeckung von den Vereinen, den Trainern, vielleicht sogar vom ÖFB?
Krankl: Wenn man etwas will, schreien in Österreich alle gleich Nein - das ist typisch. Aber ich kann mit den Ver^einen nicht schimpfen, sonst zerstöre ich mir sämtliche Kontakte. Man muss Diplomat sein, Kompromisse eingehen - das bin aber leider nicht ich.

Standard: Kann eine mögliche Einbürgerung von Steffen Hofmann wirklich grundsätzliche Probleme lösen?
Krankl: Nein. Er wäre wichtig für uns. Ich habe mit ihm ein Gespräch geführt und ihm in die Augen geschaut. Und habe gemerkt, dass es für ihn eine schwierige Entscheidung ist - er ist doch ein Deutscher.

Standard: Leidet der Trainer Krankl manchmal unter dem ehemaligen Fußballer Krankl? Gibt es da Reibungspunkte?
Krankl: Nein, ich leide nur darunter, dass manche Journalisten immer mit dem Blödsinn kommen, als Trainer bin ich nicht so gut, wie ich als Spieler war. Das kann man nicht vergleichen, das hasse ich. Ich war der beste Torschütze, ich war in der Weltspitze. Als Trainer komme ich nicht in die Weltspitze, ich habe keine Berechtigung zu fordern, Coach von Arsenal zu sein. Wenn es an der Zeit ist, wird man mich holen. Allerdings scheine ich nicht gut genug zu sein, kein Mensch wartet auf Krankl. Das akzeptiere ich. Sollte ich einmal Glück haben und der Zug an mir vorbeifahren, springe ich auf.

Standard: Sie haben aber doch auch daheim noch einige Kapitel abzuschließen. Etwa Rapid.
Krankl: Das Ausland ist ein Buch, das man möglicherweise aufschlägt. Vielleicht ist das einzig offene Kapitel Rapid. Das werde ich erledigen, egal in welcher Position. Als Jugendtrainer, als Trainer der ersten Mannschaft, als Manager, Sportdirektor, Präsident. Oder als Zeugwart. Rapid habe ich in mir drinnen, das kommt wie das Amen im Gebet. Aber vielleicht ende ich einmal als Musikkritiker. Ich habe viele Standbeine und Interessen.

Standard: Sind Sie ein typischer Österreicher, der dagegen vergeblich ankämpft?
Krankl: Ich bin ein typischer Österreicher, ein typischer Wiener. Die einzige schlechte Wiener Eigenschaft, die ich übernommen habe, ist das Raunzen. Ich bin ein richtiger Raunzer, schwelge in Selbstmitleid, wenn etwas schief geht. Da denke ich mir, wie arm ich doch bin. Das ist ein fürchterlicher Wiener Zug. Dafür habe ich null Neid. Ich bin nicht hinterlistig, sondern ein G’rader. In mir steckt nämlich auch die amerikanische und mediterrane Lebenseinstellung, das Lockere.

Standard: Wie verbringen die Krankls den Heiligen Abend?
Krankl: Traditionell. Ich bestehe auf gebackenem Kabeljau, sonst würde ich raunzen.

ZUR PERSON:

Hans Krankl (51) ist seit Februar 2002 Teamchef. Seine Bilanz lautet: 24 Spiele, acht Siege, sechs Remis, zehn Niederlagen. In der laufenden WM-Qualifikation liegt Österreich in der Gruppe 6 hinter England (10 Punkte) und Polen (9) an dritter Stelle (5). Die Teilnahme an der Endrunde 2006 ist unwahrscheinlich, aber rein rechnerisch nicht auszuschließen. In der Weltrangliste liegt das Team an 83 Stelle. Krankls Vertrag endet 2005. (DER STANDARD, Printausgabe, Freitag, 24. Dezember 2004, Christian Hackl und Fritz Neumann)