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Entseuchung nach Einsatz im durch eine schmutzige Bombe radioaktiv verstrahlten Gebiet. Was ABC-Einheiten des Heeres heute üben, könnte laut Experten bald Notfall werden.

Foto: APA/Jäger

Das neue "ZeitWissen" skizziert die Folgen des von Terrorexperten befürchteten Einsatzes schmutziger Bomben.

Terroristen wollten Hamburg in Panik versetzen. Dazu bedienten sie sich einer schmutzigen Bombe, einer Sprengladung etwa aus TNT oder Plastiksprengstoff, bei der es zwar zu keiner atomaren Kettenreaktion kommt, die aber radioaktives Material verteilt. Immerhin - die Zutaten für solch eine Bombe sind relativ leicht zu beschaffen. Das Ding ging hoch, die Terroristen erreichten ihr Ziel nachhaltig.

Freilich ist dieses Szenario fiktiv, es entstammt dem ersten ZeitWissen, dem neuen Wissensmagazin des deutschen Wochenblatts Die Zeit. Doch das ist nicht das einzige Magazin, das sich dieser Tage mit Nuklearterrorismus beschäftigt. Aus gutem Grund.

Experten sind sich einig, dass direkte Schäden durch die Explosion einer schmutzigen Bombe verglichen mit indirekten relativ gering sind. Chaos in der Bevölkerung und Aufwendungen für notwendige Dekontaminierung des Gebietes wären aber extrem. "Diese Kosten und die sozialen Auswirkungen von Evakuierung und Entseuchung wären die mit Abstand gravierendsten Folgen", betont Mohamed ElBaradei, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien.

Alle westlichen Geheimdienste gehen jedenfalls mit erschreckender Sicherheit davon aus, dass Osama bin Ladens Terrornetzwerk den nächsten Anschlag mit Nuklearmaterial ausführen wird. In ihrem jährlichen Atomwaffenbericht an den US-Kongress betonte die CIA erst diesen Dienstag, in Afghanistan gefundene Dokumente zeigten, dass Al-Kaida bereits intensiv über den Bau einer schmutzigen Bombe geforscht habe. Wie leicht so ein Ding herzustellen ist, beschreibt das Hamburger Szenario.

Die Terroristen mussten das strahlende Material nicht einmal importieren. Im Lande selbst gibt es genug. Zwar sind Uni-Labors, die mit intensiven Strahlern arbeiten, ausreichend gesichert, ebenso Kliniken und erst recht Kernkraftwerke. Auch radioaktiven Kleinabfall aus Spitälern zu sammeln wäre zu aufwändig gewesen. Aber infrage kam die Industrie. Sie nutzt strahlende Substanzen, um Oberflächen zu sterilisieren oder den Füllstand von Tanks und Silos zu messen, radioaktives Material wird serienmäßig und massenweise in Prüfstrahlern eingesetzt. Die Terroristen mussten nur dort einbrechen, wo diese Dinger zusammengebaut werden. Die Firmen zu finden war nicht schwer. Gelbe Seiten. Bewacht werden diese Betriebe unzureichend.

Laut IAEO gibt es weltweit mehr als 20.000 Institutionen, die stark strahlende Quellen einsetzen. Hauptsächlich Cäsium-137, Kobalt-60 und Iridium-192, die vor allem Gammastrahlen aussenden. Allein in den USA sind seit 1996 mehr als 1500 derartige Quellen verschwunden, 750 davon spurlos. Die EU schätzt in einer Studie, dass in ihren Mitgliedsländern jährlich 70 solcher Quellen verschwinden.

Die gestohlenen Strahler packten die Terroristen in Hamburg mit konventionellem Sprengstoff zusammen. Noch eine Fernzündung, dann das Ganze in den Kofferraum und ab zum Hafen. Auto geparkt, zurück mit der U-Bahn und die Tastenkombination ins Handy getippt - Rumms. Einfach wie ein Kinderspiel. Mit verheerenden Folgen.

Verletzt wurde zufällig niemand, dies war aber auch nicht das Ziel. Nach einem anonymen Anruf in der Bild-Redaktion ging die Meldung sofort durchs Internet und die ersten Hamburger packten ihre Koffer. Alarmierte Strahlenschützer ermittelten nur etwa 1400 Curie Radioaktivität, die frei geworden waren. Der strahlende Dreck wurde inzwischen vom Winde verweht. Eine erste Hochrechnung ergab, dass die Strahlenbelastung im Umkreis von einem Quadratkilometer um die Detonationsstelle das Risiko an Krebs zu erkranken von den üblichen 20 lediglich auf etwa 26 Prozent anhebt - würde man sich ein Jahr lang ununterbrochen in dieser Zone aufhalten. Doch auf solche Statistiken kam es den Menschen nicht mehr an, die Stadt geriet in Aufruhr. Autos rasten über Ausfahrtsstraßen, schon gab es die ersten Verkehrstoten. Am Hauptbahnhof brach Massenpanik aus, Menschen wurden zu Tode getrampelt, vor fahrende Züge gestoßen und die Rettungsmannschaften blieben in den alsbald verstopften Straßen stecken. Die Behörden sperrten Hafen und City, die Wirtschaft kollabierte. Nach Monaten war Hamburg dann entseucht, das kostete Millionen Euro. Doch die ehemals pulsierende Stadt ist noch heute wie ausgestorben. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.12.2004)