Bild nicht mehr verfügbar.

Ferenc Somogyi: "Wir befürworten die USA in der Rolle eines Garanten der europäischen Sicherheit. Wir sind uns des Nutzens einer guten Kooperation bewusst."

Foto: AP/Bela Szandelszky
Wien - "Die Situation in der Ukraine hat für die EU eine neue Herausforderung geschaffen." Mit einer gewissen Genugtuung verweist der ungarische Außenminister Ferenc Somogyi im Gespräch mit dem STANDARD darauf, dass sich sein Land schon lange vor den aktuellen Ereignissen für eine angemessene Strategie der Union gegenüber der Ukraine engagiert hat. Übrigens gemeinsam mit Österreich. Das von beiden Ländern erarbeitete Papier zur Ukraine war Grundlage für den jüngst präsentierten Aktionsplan im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP).

Bei den jüngsten Treffen der Außenminister und der Staats- und Regierungschefs der EU sei als gemeinsame Ansicht formuliert worden, dass man auf das Bekenntnis so vieler Ukrainer zur Demokratie und zu Europa antworten und ihnen noch vor der Wahlwiederholung positive Signale senden müsse. Das bedeute auch sofortige Arbeit zur konkreten Umsetzung des Aktionsplanes.

"Einige Nuancen" gibt es laut Somogyi zwischen den Mitgliedern in der Frage, wie weit die EU gehen solle. Die allgemein akzeptierte Schlussfolgerung sei aber: "Machen wir das Bestmögliche aus dem Rahmenwerk des Aktionsplans, um die Ukraine näher an die europäischen Strukturen heranzubringen." Für eine spezifische Perspektive einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine sei es noch zu früh. Das bedeute aber nicht, die Möglichkeit einer Mitgliedschaft auszuschließen. Verstärkte Zusammenarbeit könne das Land "reif für den nächsten Schritt" machen.

Kann die demonstrative Einigkeit, die der deutsche Kanzler Gerhard Schröder und Russlands Präsident Wladimir Putin bei ihrem jüngsten Treffen bekundet haben, in Mittel- und Osteuropa, vor allem in Polen, historisch begründete Ängste wiederbeleben? Er könne nicht für die Polen und schon gar nicht über deren mögliche Gefühle sprechen, meint Somogyi. Wenn aber zwei große Länder ihre Beziehungen als besser denn jemals in der Geschichte bezeichnen, dann sei das eine positive Feststellung, die "keinen Anlass zu Hintergedanken" gebe. Zumal es EU-Konsens sei, "dass eine normale, kooperative Beziehung zu Russland im besten Interesse der Union ist".

Soll die EU in den Beziehungen zu Moskau die zentralistischen und autoritären Tendenzen in Russland offener ansprechen oder, mit Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen, einfach Realpolitik betreiben? "Das ist keine Frage von Ja oder Nein", antwortet der Minister. Die Beziehungen der EU zu anderen Ländern "basieren auf Interessen und Werten". Wenn die Entwicklung in einem Land sich von EU-Standards wegbewege und eine bestimmte Grenze erreicht habe, "dann besteht die Verpflichtung, Enttäuschung oder Sorge auszudrücken". Es könne einen Punkt geben, ab dem man wirtschaftliche Interessen nicht weiter verfolgen dürfe.

Auf die Frage nach der Zukunft der Beziehungen zwischen Europa und den USA äußert Somogyi ein "volles Bekenntnis" zu einem guten transatlantischen Verhältnis. Nach dem Zerwürfnis in der Irakfrage gebe es nun "erste Gesten von beiden Seiten und ein Fenster der Gelegenheit". Man erkenne die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit.

Ungarns EU-Beitritt habe jedenfalls "unser Interesse an einem wirklich effektiven, kooperativen und harmonischen transatlantischen Verhältnis" nicht geändert. "Wir befürworten die USA in der Rolle eines Garanten der europäischen Sicherheit. Wir sind uns des Nutzens einer guten ungarisch-amerikanischen Zusammenarbeit bewusst, sei es bilateral, sei es im Rahmen der Nato oder in Ad-hoc-Projekten im Zusammenhang mit globalen Herausforderungen."

In letzterem Bereich beendet Budapest soeben eine Kooperation mit Washington. Die letzten Soldaten des ungarischen 300-Mann-Kontingents im Irak sind abgezogen worden, nachdem die von der Mitte-links-Regierung geplante Verlängerung des Mandats bis Ende März 2005 am Widerstand der national-konservativen Opposition gescheitert war. Ungarn wird sich laut Somogyi aber am Nato-Ausbildungsprogramm für die irakische Armee mit einer 150 Mann starken Schutztruppe, zwölf Ausbildnern und Panzern für die irakischen Sicherheitskräfte beteiligen.

"Trauma von Trianon"

Zum jüngst gescheiterten ungarischen Referendum über eine Doppelstaatsbürgerschaft für die Auslandsungarn meint der Minister, es sei "hoch an der Zeit", an diese Frage nicht mehr vergangenheitsfixiert heranzugehen. Zwar wolle er nicht so weit gehen zu sagen, dass mit dem Scheitern des Referendums das "Trauma von Trianon" überwunden sei. (Mit dem Vertrag von Trianon 1920 verlor Ungarn rund zwei Drittel seines Territoriums, Red.)

Es bestehe aber nun die Chance, die Frage in einem "positiv patriotischen Sinn" zu lösen, in Übereinstimmung sowohl mit dem verfassungsmäßigen Auftrag an jede ungarische Regierung als auch mit den europäischen Standards und in Zusammenarbeit mit den betroffenen Ländern. Es gehe darum, den Auslandsungarn ein gutes Leben zu ermöglichen "dort, wo sie sind". (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 23.12.2004)