Karikatur: Kufner
Das Lesen ist weiblich. Noch immer und immer mehr. Auf diesen Satz könnte Pisa 2 zusammengefasst werden. In allen 40 untersuchten Ländern haben Mädchen eine signifikant bessere Lesekompetenz als die Buben. In Österreich hat sich die Differenz zugunsten der Mädchen in den letzten drei Jahren sogar "um 21 Punkte erheblich vergrößert; das ist der größte Zuwachs an Differenz, der weltweit gemessen wurde", vor allem zurückzuführen auf ein "sehr deutliches Abfallen des Lese-Mittelwerts der österreichischen Buben", was in der "Schulpolitik und Didaktik unbedingt Beachtung finden muss", schreiben die Pisa-Autoren.

Woher kommt diese Geschlechterschieflage beim Lesen? Diese Frage erforscht Kommunikations-wissenschafterin Margit Böck von der Uni Wien, die für das nationale Pisa-Leseprojekt zuständig war. Sie befasst sich mit der Frage, inwieweit gesellschaftliche Rollenbilder Einfluss auf Lesegewohnheiten haben, also die Gender-Dimension des Lesens: "Soziale Konstruktionen werden internalisiert als das, was für Mädchen legitim ist und was für Buben. Lesen ist eher weiblich konnotiert. Buben stehen dem Lesen insgesamt eher distanziert gegenüber", erklärt Böck im STANDARD-Gespräch.

Mädchen lesen mehr und besser. Sie lesen vor allem erzählerisch-literarische Texte, während Buben, wenn sie lesen, Sachbücher und Comics vorziehen. "Burschen räumen Bildermedien wie TV, Internet, Video und Comics großen Stellenwert ein. Visuell vermittelte Information greift bei ihnen stärker", so Böck. Mädchen hingegen bevorzugen das klassische "Buchlesen" und Audiomedien. "Informationslesen" gilt eher als Domäne der Buben, "Unterhaltungslesen" eine der Mädchen.

Völlig falsch sei es, von vornherein "gutes, wertvolles Lesen" von vermeintlich minderwertigem zu unterscheiden, sagt Böck: "Gelassenheit und mehr Toleranz bei den Lesestoffen ist angebracht, wenn Kinder lesen." Zuerst sollen sie überhaupt einmal lesen, dann kann man qualitativ höherwertige Texte anvisieren.

Auf diese Dinge muss eine "geschlechterspezifische Leseförderung" Rücksicht nehmen, fordert Leseforscherin Böck: "Mit Lesetraining funktioniert gar nichts. Es muss über die Motivation gehen und Spaß machen." Ein Weg, den die Schweiz probiert, ist der, "Textformen auf andere Medien mit weniger Buchcharakter umzulegen", etwa Lese-CD-ROMs, um das von den Buben bevorzugte Medium, den Computerbildschirm, als Vermittler zu nutzen.

Generell habe sich "das Verhältnis von Schriftlichkeit zur Bildlichkeit hin verschoben. Der Anteil der Bilder, die eine Information darstellen, ist gestiegen. Auch in den Zeitungen durch Infografiken", erklärt Margit Böck. Neben Lesekompetenz sind zunehmend visuelle Kompetenzen zur Entschlüsselung bildlicher Inhalte notwendig.

(Lisa Nimmervoll/DER STANDARD-Printausgabe, 21.12.04)