Diffuse Verlorenheit und ein mysteriöser Besucher, der alte Trauer weckt: Hollywoodstar Nicole Kidman überzeugt in Jonathan Glazers Melodram "Birth" durch konzentriertes Spiel.

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Ein atmosphärisches Melodram von Jonathan Glazers um unaufgelöste Trauer – mit einem unbefriedigenden Ende.

Wien – Tod, Geburt oder Wiedergeburt? Zwei disparate Szenen behaupten zu Beginn einen Zyklus, zugleich zeigen sie die Gegensätze auf, die den weiteren Verlauf des Films bestimmen: Ein Mann joggt durch den Central Park, und wenn sich seine schwarze Sweaterkapuze unheimlich von der schneeweißen Umgebung abhebt, ist das ein böses Omen. In einem Tunnel sinkt er nieder und stirbt, aber auf die Herzattacke folgt die Szene der Geburt eines Kindes.

Zehn Jahre später feiert Anna (Nicole Kidman) die Verlobung mit Joseph (Danny Huston). Sie ist die Witwe von Sean, von jenem Mann, der beim Laufen gestorben ist. Die Zeit der Trauer scheint vorüber, doch über dem neuen Paar liegt ein Schatten; ein Unbehagen, für das der Film nur indirekt Bilder liefert: die Verhaltenheit Annas etwa, die man mit Vornehmheit verwechseln könnte. Kidman – mit einem Haarschnitt, der an den von Mia Farrow in Rosemary's Baby erinnert – erscheint in der tapetenbemusterten Wohnung wie ein wertvolles Ausstellungsstück.

Trotz denkbar irrationaler erzählerischer Bedingungen vermag das erste Drittel von Jonathan Glazers neuem Film Birth in den Bann zu ziehen: Ein kleiner Bub, der plötzlich in der Tür steht, sorgt für den Twist. In einer privaten Unterredung konfrontiert er Anna mit ernstem Gesicht mit der Behauptung, Sean, ihr Ehemann, zu sein; dass er sie immer noch liebe, sie aus diesem Grund Joseph nicht heiraten dürfe, meint er. Seine Hartnäckigkeit, sein Wissen um intime Details geben dieser Forderung Gewicht.

Symptom als Figur

Birth – neben Glazer und Milo Addica auch vom Bunuel-Mitarbeiter Jean-Claude Carrière geschrieben – ist also kein Film, der auf Logik vertraut, seine Unwahrscheinlichkeit ironisiert er sporadisch sogar selbst. Er ist aber auch kein Mystery-Thriller, der über den Wiedergänger ein übersinnliches Szenario entwirft. Eher handelt es sich bei Sean um ein Symptom, das zur Figur geworden ist: Er verkörpert die diffuse Verlorenheit Annas und sorgt dafür, dass ihre Trauer wieder an die Oberfläche steigt.

Glazer (Sexy Beast) inszeniert die Passagen ihrer wachsenden Verunsicherung als Spiel mit Texturen, in dem zeitliche Kontinuen aufgebrochen werden; warme Farbtöne dominieren die Innenräume, aber die Bilder von Kameramann Harry Savides (Elephant) vermitteln keine Heimeligkeit – sie wirken vielmehr erstickend, sie umschließen Anna wie ein Kokon, sodass der Ausdruck ihres Traumas auf die Objektwelt überzugreifen scheint.

Es verdankt sich dem ungemein konzentrierten Spiel Kidmans, dass die Konstellation zwischen Frau und Kind überzeugend bleibt. Da genügt die Großaufnahme ihres Gesichts während der Aufführung einer Wagner-Oper, um die wiedererwachte Unruhe ihres Herzens plausibel zu machen. Selbst die bereits im Vorhinein skandalisierte Badeszene mit ihr und dem Buben wirkt aufgrund des sublimen Nahverhältnisses – das ja stets über das Sichtbare hinausverweist – vollkommen stimmig.

Birth hat jedoch leider nicht die Konsequenz, diese Klammer zwischen inneren Versehrtheiten und äußeren Verschiebungen bis zum Ende offen zu halten. Er flüchtet sich in eine Auflösung, die nicht nur zu früh kommt, sondern auch unbefriedigend viel erklärt: Ein gut gehütetes Geheimnis aus der Vergangenheit ist es letztlich, das die seltsamen Vorkommnisse auf den Boden des allzu Realen zurückholt und den Zugriff der Toten auf die Lebenden als Schwindel ausweist.
(DER STANDARD, Printausgabe, 21.12.2004)