Berlin - Nach 20 Jahren stellt die von Hans Magnus Enzensberger und Franz Greno begründete "Andere Bibliothek" ihre Erscheinen ein. Im September 2005 werde der letzte Band erscheinen, teilten Enzensberger und Greno am Montag überraschend in Berlin mit. Sie hatten das in der Literaturszene hoch geschätzte Projekt mit außergewöhnlichen Büchern in bibliophiler Ausstattung 1985 begründet. Die Verträge mit dem Eichborn Verlag seien mit Wirkung zum 30. September 2005 gekündigt worden. "Was lange währt, muss aber nicht ewig dauern", hieß es zur Begründung lediglich. Die in der Verlagsvorschau beschriebenen Bände 244 bis 249 der "Anderen Bibliothek" (April bis September 2005) würden wie geplant erscheinen.

Nach den alten Regeln der Schwarzen Kunst

Jeden Monat erschien "ein besonderes Buch", ausgewählt und herausgegeben von Enzensberger, sorgfältig lektoriert und liebevoll gestaltet, nach den alten Regeln der Schwarzen Kunst in Grenos Nördlinger Werkstatt in Blei gesetzt, auf holz- und säurefreies Papier gedruckt, jeder Band individuell gebunden, mit Rückenschild aus Leder und Lesebändchen. Für die Büchernarren sollte, wie Eichborn betonte, es zusätzlich eine besondere, nummerierte Leder-Vorzugsausgabe geben, denn: "Luxus ist kein Verbrechen."

"Als wir Anfang 1985 die 'Andere Bibliothek' begründet haben, hätte niemand darauf gewettet, dass dieses verlegerische Abenteuer uns über 20 Jahre lang beschäftigen würde", betonten Enzensberger und Greno in ihrer Presseerklärung. "Was lange währt, muss aber nicht ewig dauern. Gerade weil dieses Unternehmen in den letzten Jahren einige Überraschungserfolge zu verzeichnen hatte - das Humboldt- Projekt, die Aufzeichnungen der Berliner Anonyma und Asfa-Wossen Asserates Manieren-Buch - scheint uns der ideale Zeitpunkt gekommen, um dem Spiel ein Ende zu setzen."

"Die Andere Bibliothek" umfasst laut Verlag "Vielvölker- Erzählungen" und schräge Märchen; neben entlegeneren europäischen auch außereuropäische Literaturen; autobiografische Erzählungen und originelle Lebensbeschreibungen; Forschungsreisen und ethnologische Erkundungen; geistreiche "Hand- und Nutzbücher" und Geschichtsbücher, die mit akademischen Usancen brechen.

Mit dem 249. Band endet Reihe

Mit dem letzten, 249. Band ("Die Wissenschaft vom lieben Gott") wird die Buchreihe eine Gesamtauflage von etwa drei Millionen Exemplaren erreicht haben, teilte Rainer Wieland vom Lektorat mit. Ein spektakuläre Erfolg war Christoph Ransmayrs "Letzte Welt" mit einer Gesamtauflage von mehr als 150.000 Exemplaren. Gestartet wurde die Reihe mit Lukian von Samosatas "Lügengeschichten". Es folgten Romane, Essay-Bände, Reportagen, Reiseberichte und Gedicht-Anthologien. Einige Ausgaben erzielten in ihren Originalausgaben einen hohen Sammlerwert.

Zuletzt erregte das im September vorgestellte Humboldt-Projekt mit den drei wichtigsten Werken des Wissenschaftlers und Naturforscher Alexander von Humboldt (1769-1859) große Aufmerksamkeit, womit sich der am 11. November 75 Jahre alt gewordene Herausgeber Enzensberger auch ein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk machte. "Nur wer, wie Humboldt, seine Projekte 'con amore' angeht, wird in Zukunft eine Chance haben", meinte der Schriftsteller aus diesem Anlass. (APA/dpa)