Es stimmt, was Bundeskanzler Wolfgang Schüssel über das Innenministerium sagt: Es ist kein fröhliches Ressort. Es geht um Verbrechensbekämpfung, um die Schattenseiten der Gesellschaft, und da sind Erfolge, die man vermelden könnte, rar, und sie wurden in den vergangenen Jahren immer rarer. Die Exekutivbeamten machen keinen leichten Job, sie arbeiten unter erschwerten Bedingungen, verschärft auch durch den Sparzwang, der ihre Reihen lichtete und den Unmut über die politische Führung vergrößerte.

Es geht um das so genannte Asyl- und Fremdenwesen. Also um Schicksale, um menschliche Tragödien, um die Entscheidung, wer bleiben darf und wer nicht. Und es geht, in viel kleinerem Rahmen, um die Frage: Wie kann man denen Schutz geben, die ihn brauchen, und wie geht man mit jenen um, die ihn missbrauchen? Selten gelingt hier die Differenzierung, meist bleibt es bei pauschalen Kriminalisierungsvorwürfen oder naiver Blauäugigkeit.

In diesem Spannungsfeld hat es keiner der Vorgänger von Liese Prokop seit Franz Löschnak zu Popularität gebracht. Auch Ernst Strasser nicht, der als Liberaler begonnen hat und als Hardliner ausgestiegen ist.

Liese Prokop ist 63. Sie könnte in Pension gehen. Selbst nach den strengen Maßstäben der Reform zur so genannten Pensionsharmonisierung, die 2005 zu wirken beginnt, hat sie ihren Pensionsanspruch bereits erreicht. Jetzt wird sie Innenministerin. Das weckt Zweifel an Schüssels Personalauswahl. Die Grünen wissen nicht, was Prokop für dieses Amt qualifizieren sollte, und die SPÖ spricht vom "letzten Aufgebot".

Schüssels Entscheidung ist vielleicht leichter als Marketingmaßnahme denn als politisches Statement zu verstehen. Frau Prokop ist zugute zu halten, dass sie über jahrzehntelange Erfahrung als Landespolitikerin verfügt, wenn auch nicht in jenen Kernbereichen, denen sie sich jetzt im Innenministerium stellen muss. Wichtiger für Schüssels Personalentscheidung war, abgesehen vom "Frauenbonus", aber wohl das Image, das Prokop hat. In Niederösterreich gilt sie als so etwas wie eine "Landesmama". Auch wenn sie beinhart Entscheidungen treffen kann, strahlt sie etwas sehr Mütterliches, Sanftes, Fürsorgliches aus, verbunden mit einer gewissen Bodenständigkeit. Das könnte - aus Schüssels Sicht - der Schärfe, mit der Auseinandersetzungen rund um das Innenministerium geführt werden, die Kanten nehmen, gerade in dem oben beschriebenen Spannungsfeld. Wenn es Prokop richtig anstellt, und dafür sprechen ihre ersten Interviews, könnte sie in diesem Amt weit weniger polarisieren als ihre Vorgänger.

Ein zweiter Punkt spricht dafür, dass die Entscheidung vordringlich unter dem Blickwinkel der strategischen Öffentlichkeitsarbeit und des "Verkaufs" von Geschichten getroffen wurde: der Zeitpunkt. Laut Prokop war sie bereits vergangenen Mittwoch mit dem Kanzler handelseins.

Die Entscheidung gab Schüssel, eilig vom EU-Gipfel in Brüssel herbeigejettet, jedoch mit großer Inszenierung am Freitagabend bekannt. Zuvor waren bloß so Kleinigkeiten wie die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beschlossen worden, und der Kanzler suggerierte mit seiner Ankündigung einer Volksabstimmung, dass Österreich irgendwann vielleicht etwas mitzureden hätte.

Schüssel wollte oder konnte seine in Österreich öffentlich vertretene Linie der ganz harten Bedingungen und des jedenfalls offenen Ausgangs der Verhandlungen in Brüssel nicht durchsetzen, hätte allerdings noch deutlicher scheitern können. Da tut es nicht schlecht, wenn man zu Hause ein wenig ablenken kann, und egal, ob jetzt die Volksabstimmung die neue Innenministerin sticht oder umgekehrt, beide Verlautbarungen verstellen in der öffentlichen Wahrnehmung die Sicht auf das wirklich wichtige Ereignis in Brüssel, die (langfristige) Aufnahme der Türkei in die EU. Zufällig war diese Kollision der Themen nicht. Der Kanzler spielt mit der Öffentlichkeit. Er führt sie hinters Licht. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.11.2004)