Montage/derStandard.at
Zangen für Scheren und Häuser

Delikatess-Besteck : Was isst man wie? Wo ist der Einsatz der Finger erlaubt, wo spezielles Tischwerkzeug angebracht? Und welche dieser Instrumente sind tatsächlich nützlich? Marie-Thérèse Gudenus befragte einen Experten zum Thema Tischkultur und rückte verschiedenen Delikatessen mit professionellem Werkzeug zu Leibe.


Zu keiner anderen Zeit im Jahr wird so üppig und exquisit getafelt wie zwischen Weihnachten und Neujahr. Ob nun das klassische warme Menü mit Gans oder Karpfen aufgetischt wird oder "nur" kalte Delikatessen wie Austern und Kaviar - all diese Köstlichkeiten werden in normalen Haushalten sonst nicht oft serviert. Daher herrscht bei vielen Zeitgenossen eine gewisse Unsicherheit, wie man solche Spezialitäten korrekt verzehrt respektive zum Verzehr herrichtet: Was darf man in die Hand nehmen, was womit zerlegen? Manfred Pucher, Food-&-Beverage-Direktor des Grand Hotels Wien, holte für den STANDARD-Test sieben ausgefallene Tischwerkzeuge aus den Besteckladen des Restaurants Le Ciel und assistierte dem Testteam mit fachkundigen Ratschlägen.

Die Kriterien:

Beurteilt wurden Ästhetik, Handlichkeit, Bedarf in Privathaushalten und der Erlebnisfaktor, also die Frage, inwieweit der Einsatz solcher Instrumente bei Tisch Gesprächsstoff bietet. Die Note bezieht sich aber nur auf die Frage, ob die Anschaffung des jeweiligen Bestecks für den Privathaushalt sinnvoll ist.

Zu den Ergebnissen von Austernöffner bis Hummergabel ...

Die Ergebnisse:

Austernöffner und -gabel
In guten Restaurants bekommt man Austern ja schon geöffnet, aber zu Hause? Da muss man die Schalen erst selbst knacken, und zwar unbedingt mit einem eigens dafür entwickelten Instrument. Zwei Versionen sind handelsüblich: ein kurzes, breites Brecheisen mit Fingerschutz (vor allem für Belon-Austern) oder ein längeres, dünnes Messer ohne Schneide (z.B. für Claire fine). An der richtigen Stelle der Auster (einmal vom Fischhändler zeigen lassen!) lässt sich die Metallklinge leicht zwischen die Schalen schieben, und mit einer Drehbewegung gehen Ober- und Unterteil sauber auseinander. So bröseln keine Schalensplitter in das Innere, was manche Ignoranten dazu verleitet, die Auster auszuwaschen, wodurch das typische Meerwasseraroma verloren geht. Mit der breiten, löffelartigen Gabel löst man das Austernfleisch vom Muschelboden, nimmt die Schale in die Hand und schlürft Fleisch und Flüssigkeit heraus.

Zur Bewertung: Die Handlichkeit des Austernöffners hängt nur davon ab, ob man damit umgehen kann. Die Ästhetik spielt hier keine Rolle, da das Öffnen in der Küche stattfindet, der Austernöffner also auch keinen Gesprächsstoff abgibt. Für alle, die zu Hause Austern essen, ist dieses Instrument ein Must, da man es wegen der Verletzungsgefahr nicht durch Messer ersetzen kann, außerdem gehen Messer bei solcher Zweckentfremdung kaputt. Die Gabel hingegen lässt sich leicht durch Dessertgabeln ersetzen. Note (Öffner/Gabel): 10/1

Spargelzange
Heute würden wir das als dekadent erachten, aber früher aß man vom Spargel tatsächlich nur die Spitzen. Der mehr oder weniger holzige Rest wurde mit kleinen Spargelzangen festgehalten, der Kopf abgebissen. Mittlerweile können wir Spargel so gut schälen, dass wird die ganze Stange verzehren; die Zange blieb eigentlich nur noch als Vorlegebesteck in Verwendung, obwohl sie als Bestandteil vieler Silberbestecke noch in so mancher Schublade ruht.

Bei der Bewertung dieses Gerätes gingen die Meinungen der Tester weit auseinander: Stimmte man in puncto Handlichkeit, Ästhetik und Erlebnisfaktor noch gänzlich überein, für die generell sehr hohe Noten vergeben wurden, so hielt ein Tester die Spargelzange für "völlig überflüssig", da man das Stangengemüse bequem mit Messer und Gabel essen könne. Die anderen drei Tester, besonders jene, die im privaten Kreis Spargel mit den Fingern essen, plädierten hingegen vehement für das "ebenso dekorative wie praktische" Besteckteil. Note: 7,5

Hummerzange und -gabel
Wie Austern bekommt man auch Hummer in guten Restaurants bereits ausgelöst, sicherheitshalber empfiehlt sich bei der Bestellung die Frage und gegebenenfalls Bitte, diese Aufgabe in der Küche zu übernehmen. Der Nachteil des essfertig servierten Hummers besteht darin, dass in Österreich dann oft die Beine und mehr weggeschnitten sind, da man sie ja nicht auslösen kann und der Gast die Karkassen offenkundig nicht bei Tisch auszuzeln will.

Hummerzangen aus massivem Silber sind sehr selten, weil extrem teuer, eine versilberte Form ist wegen der raschen Kratz- und Abnützungsspuren unüblich, gängig ist daher Edelstahl. Die lange, an Fonduegabeln erinnernde Hummergabel mit zwei Minizinken besteht hingegen oft aus Silber. Beide Teile sind für den privaten Gebrauch sehr zu empfehlen: die Gabeln, um halbwegs manierlich kleine Reste aus Hohlräumen zu fischen, und Hummerzangen deshalb, weil sie im Gegensatz zu Nussknackern dank ihrer fein gerillten Zangenflächen nicht abrutschen. Andere Alternativen für die Hummerscheren wären eine Rosenschere oder (in der Küche) ein Hieb mit einem scharfen Messer oder Hammer. Zusätzlich zum Hummerbesteck sind übrigens auch normale Messer und Gabeln aufzudecken, damit das ausgelöste Fleisch in mundgerechte Stücke geschnitten werden kann. Note (Zange/Gabel): 9/9

Schneckenzange und -gabel
Der Zweck einer Schneckenzange besteht darin, sich nicht am heißen, öltriefenden Schneckenhaus die Finger zu verbrennen, wenn man versucht, das Fleisch herauszufangen. Das Festhalten des Hauses mit den Fingern ist nur mit einer Serviette zu empfehlen und birgt überdies die Gefahr des Abrutschens in sich. Ob man die Zange mit den tiefen, runden Schaufeln rechts und die Gabel links hält oder andersrum, ist Geschmackssache; klare Etiketteregeln gibt's allerdings zum Verzehr der Schnecke: Man steckt das Fleisch mit der zweizinkigen Gabel in den Mund, ohne das Gehäuse (in guten Restaurants oft aus Porzellan statt echt) auszuschlürfen oder -schlecken. "Das ist nicht wirklich gepflegt", urteilte Experte Pucher, räumte allerdings ein, "die Franzosen tun's aber immer". Dort behilft man sich auch einfach mit einer Stecknadel, um das Fleisch aus dem Haus zu fischen. Optisch und als Gesprächsthema fand das (meist silberne) Schneckenbesteck fast hundertprozentige Zustimmung bei den Juroren, auch die Handlichkeit wurde hoch bewertet. Einzig bei der Sinnfrage im Privatgebrauch einigte man sich auf einen Kompromiss: "Wenn schon Schnecken, dann mit Zange, aber für einmal im Jahr steht's nicht wirklich dafür!" Note (Zange/Gabel): 6/3

Fischbesteck
Merkwürdigerweise ist Fischbesteck das am häufigsten verwendete "exotische" Tischwerkzeug. Merkwürdig deshalb, weil das Messer mit der breiten, schrägen Klinge ohne Schneide nur bei gekochtem oder gedünstetem Fisch sinnvoll zum Einsatz kommt; wird ein Fisch gebraten serviert und hat er womöglich noch eine stärkere Haut - wie Wolfsbarsch oder Angler -, ist man mit einem normalen Messer viel besser bedient. Der Sinn der Fischgabel mit ihren breiteren Zinken besteht darin, das leicht zerfallende Fischfleisch sicherer zum Mund zu transportieren. In der Bewertung attestierten alle Tester dem Fischbesteck größte Handlichkeit und Ästhetik, der Privatnutzen wurde von der Hälfte des Teams aus oben genannten Gründen als nur mittelmäßig eingestuft (die anderen waren voll dafür). Im Hinblick auf Gesprächsstoff geben diese gängigen Geräte so gut wie nichts her. Note (Messer/Gabel): 8/8

Steakmesser
Steakmesser sind das exakte Gegenteil vom Fischmesser: Die schmale, lange Klinge weist eine Vielzahl scharfer Schneidezähne auf und eignet sich im Grunde für alle Fleischgerichte außer Gedünstetem, vor allem aber für Gegrilltes und Gebratenes. Kaum ein Privathaushalt hat Steakmesser aus Silber; es ist aber laut Pucher "durchaus in Ordnung, zu einer normalen Silbergabel ein Steakmesser mit Holzgriff zu legen". Dass das nicht besonders elegant aussieht, bringt Abzüge in der Ä(stehtik)-Note; für Handlichkeit und Privatnutzen gab es von den Juroren jeweils das Punktemaximum, in puncto Erlebnis das Minimum. Note: 7

Saucenlöffel
Der flache, breite Saucenlöffel mit der typischen Einkerbung in der rechten Backe wird zu allem gereicht, was auf flachen Tellern mit Sauce serviert wird, von der Vorspeise bis zum Dessert. "Die Sauce aufzulöffeln ist nicht nur erlaubt, sondern von den Köchen absolut gewollt", erklärt Pucher - immerhin sei eine gute Sauce die größte Herausforderung in der Küche. Ästhetisch macht dieses unspektakuläre Stück auf dem Tisch eine gute Figur, auch seine Handlichkeit wurde nicht infrage gestellt, wohl aber die Notwendigkeit dieser Anschaffung für den Privathaushalt: "Ein normaler Löffel tut's auch", so das gängige Urteil. Note: 4

Dank an das Grand Hotel Wien - namentlich an Herrn Pucher und Frau Mag. Brigg - für die Unterstützung. (DER STANDARD, Printausgabe vom 18./19.12.2004)