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Daniel Harding

Foto: APA/ EPA/SIGI TISCHLER

... und wird mit ihnen bei der Salzburger Mozartwoche auch den "Idomeneo" aufführen. Er baut dabei auf seine Grundsätze: Ehrlichkeit und Einfachheit.

Wien – Früh vollendet wäre zu viel gesagt, altklug viel zu wenig, und alt stimmt schon gar nicht. Die Rede ist von Daniel Harding, einem aus Oxford gebürtigen Dirigenten, der, noch keine 30 Jahre alt, auf eine Laufbahn zurückblickt, derer sich auch ein Maestro mit doppelt so vielen Jahresringen durchaus rühmen könnte.

Der Grund dafür dürfte in einem immer häufiger feststellbaren Phänomen einer Beschleunigung der Tempos liegen, mit dem Kinder und Jugendliche existenzielle Zusammenhänge erfassen, und in der dadurch bedingten Souveränität, mit der sie auch schon in frühester Jugend, ja sogar schon im Kindesalter auf komplexe Situationen richtig reagieren.

Und wenn Daniel Harding am Samstag erstmals ans Pult der Wiener Philharmoniker tritt, so ist dies für ihn, wie er sagt, "a very important moment in my life", aber immerhin stand er schon vor 15 Jahren zum ersten Mal vor einem Orchester. Zuvor hatte er Blockflöte, Trompete und Geige gelernt. Und als seine Freunde unbedingt ein Orchester gründen wollten, landete der 14-Jährige unversehens am Dirigentenpult.

Weil er von Unprofessionalität und wenn auch noch so liebenswürdiger Liebhaberei nichts hielt, brachte er schon ein Jahr später die Energie auf, zu seinem damals schon hoch renommierten Landsmann Simon Rattle zu pilgern, um sich von diesem zeigen zu lassen, was dirigieren eigentlich bedeutet. Die Auffassungsgabe des jungen Adepten dürfte den Meister von Birmingham ziemlich beeindruckt haben. Sonst hätte er ihn nicht schon zwei Jahre später zu seinem Assistenten gemacht.

Als er, gerade zwanzig, in der gleichen Position zu Claudio Abbado und den Berliner Philharmonikern übersiedelte, hatte er schon den Preis der Royal Philharmonic Society für das beste Konzertdebüt des Inselreichs in der Tasche.

Durchbruch in Berlin

Schon im Jahr darauf gelang ihm mit einem Konzert der Berliner Festwochen der internationale Durchbruch. Die Musiker der Deutschen Kammerphilharmonie in Bremen wählten ihn 1999 zu ihrem Chefdirigenten, unter dessen Führung sie zu einem der europäischen Spitzenensembles aufstiegen. Und seit dem Vorjahr steht er an der Spitze des von Abbado gegründeten Gustav Mahler Jugendorchesters.

Apropos Jugend: Die seine empfindet Harding keineswegs als Bürde, auch nicht seine frühen Erfolge. Er macht einfach Musik, weil es ihm Spaß macht, und dirigiert auch nur das, was ihm Spaß macht. Denn Zwang ist nichts für ihn. Musik jedoch ist die einzige Sprache, die alle verstehen und die den Menschen in die Lage versetzt, seine Existenz zu begreifen. Denn Musik vermittelt dem Menschen die tiefsten Erlebnisse.

Dazu ist es allerdings nötig, sich selbst und seine Intentionen als Dirigent zunächst einmal dem Orchester zu vermitteln. Dafür gibt es kein Rezept.

Harding: "Mit den Orchestern verhält es sich nicht anders als mit den Menschen im Alltag. Man trifft Tausende, und mit wenigen freundet man sich an. Mit dem einen Orchester schließt man Freundschaft, mit anderen nicht. Aber auch in einem solchen Fall ist es die Musik, an der und für die man gemeinsam arbeitet.

Als junger Dirigent, glaube ich, muss man ehrlich sein. Man muss sich geben, wie man ist. Und wenn ich jetzt vor den Wiener Philharmonikern stehe, kann ich nichts anderes tun, als ganz normal und einfach zu sein. Ich muss Freude an der Musik haben und diese auch vermitteln. Man muss einfach danach trachten, dass man füreinander kompatibel ist."

Zu einem solchen Test hat sich Daniel Harding für Wien nicht gerade das einfachste Werk ausgewählt. Gustav Mahlers zehnte Symphonie gilt gemeinhin als, wenn auch wuchtiger, Torso.

Harding: "Das ist ein großes allgemeines Missverständnis. Die Zehnte Mahler blieb nicht unvollendet. Sie ist keineswegs ein Puzzle aus vorhandenen Skizzen. Der erste Satz ist überhaupt authentisch. Beim zweiten ist zwar nicht alles ausgeführt, aber eindeutig vorgegeben. Ebenso beim dritten Satz. Auch bei den letzten beiden Sätzen sind die harmonischen Progressionen und auch die Melodie Takt für Takt festgelegt.

Lediglich im Hinblick auf die Instrumentation wurde Fleisch auf das Skelett gebracht. Im Gegensatz zu Puccinis Turandot oder zum Mozart-Requiem wurde nichts von fremder Hand vollendet. Diese Zehnte ist eines der großen symphonischen Werke des 20. Jahrhunderts."

Angesichts von Hardings Jugend drängt sich die Frage auf, ob es in einer Zeit der stürmischen Entwicklung der Technik und der damit veränderten akustischen Umweltsituation nicht ein wenig anachronistisch wirkt, wenn eine Hundertschaft von Menschen sich auf einem Podium versammelt und auf seltsamen Geräten Töne produziert, die sich seit Generationen nicht geändert haben.

Harding: "Jede Kultur versteht ihre Instrumente, weil diese zu ihren Ritualen gehören. Und diese sind nicht an den aktuellen Zeitpunkt gebunden. Sie sind Teile der Vergangenheit und diese wieder die Grundlage des Menschen. Außerdem gibt es nur noch wenige Menschen, die durch Handarbeit etwas herstellen. Und diese Herstellung von Hand adelt diese Gegenstände. Die Leute wissen es zu schätzen, wenn sie wissen, die Instrumente werden noch auf dieselbe Weise wie vor 100 Jahren hergestellt."
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.12.2004)