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Wer vorgefertigte Antworten suche, so Peter Eisenman über seine Ausstellung "Barfuß auf weiß glühenden Mauern", der solle lieber nicht ins MAK kommen . . .

Foto: APA/EPA/Stephanie Pilick
Die stärkste Karte ist dabei der Raum selbst - und der hält sich verdeckt.


Wien - Wenn er denn in Wien eine Ausstellung machen solle, sagte der amerikanische Architekt und Architekturthesendenker Peter Eisenman (72) zu MAK-Chef Peter Noever, dann wolle er eine entwerfen, die ihm sicher keine Aufträge einbringe.

Das sei überhaupt kein Problem, meinte Noever dazu, denn gerade in dieser Hinsicht sei Wien ausgesprochen verlässlich.

Tatsächlich ist die Schau, die ab heute Abend im Museum für angewandte Kunst zu sehen ist, keine Eisenman-Personale, die nach Aufträgen heischt. Und sie ist etwa das Gegenteil des bekömmlichen, leicht konsumierbaren Ausstellungsspiels, das allerorten, auch in Wien, die Touristen anlockt und - mit bunten Rubens-, Rembrandt-, Schielepostkarten ausgestattet - beglückt wieder zurück ins bürgerliche Heim entlässt.

Im MAK sind die Besucher vielmehr dazu aufgerufen, "barfuß auf weiß glühenden Mauern" zu wandeln, und bunte Bilder werden höchstens in den Köpfen derjenigen entstehen, die sich auf dieses dreidimensionale Architektur-Tarot einlassen. Dafür werden sie, die Bilder, bleiben, denn es werden die jeweils eigenen sein.

Wo stehen wir?

Eisenman, der Unberechenbare, der Dekonstruktivist, der aus dem Gleichschritt der anderen Dekonstruktivisten längst wieder ausgeschert ist, hat die Karten gemischt und das Deck der Architektur, der Form, des Inhalts neu ausgelegt. Er stellt die Fragen, die die Besucher selbst beantworten müssen: Wo stehen wir? In welche Richtung werden wir gehen? Was wollen wir eigentlich? Wer vorgefertigte Antworten suche, so Peter Eisenman, solle lieber nicht hierher kommen.

Das Spiel entwickelt sich langsam und aus dem Dunklen. Die MAK-Ausstellungshalle ist verschwunden, plötzlich hängt da in 255 Zentimeter Tiefe geduckt ein Plafond. Licht dringt lediglich aus den Eingängen und Bodenschlitzen der 30 begehbaren, deckenhohen Kuben, die wie Raumstützen in strengem Raster schachbrettartig angeordnet sind. Die "weiß glühenden Mauern" sind als schmale weiße Pfade auf dem Boden ausgelegt - wohin sie führen, muss jeder selbst entdecken. Die Szenerie verwirrt, desorientiert, verunsichert.

Ein Nichtraum

Eisenman hat hier einen Nichtraum produziert. Er hat jede Richtung und Gerichtetheit eliminiert und die innen hell ausgeleuchteten Kuben mit umso stärkeren Inhalten aufgeladen. Dass es sich hier um einige seiner Projekte wie beispielsweise das Wexner Center for the Visual Arts, das House IV, das Max-Reinhardt-Haus Berlin handelt, die quasi skulptural oder als Diagramme in ihren Grundüberlegungen dargestellt werden, spielt keine besondere Rolle. Was zählt, sind die jeweiligen Rauminszenierungen und Fältelungen, die Verschnitte und Dynamisierungen, die Möglichkeiten.

Manche Kuben öffnen sich wie Kamine nach oben und machen andeutungsweise das große Volumen der MAK-Ausstellungshalle spürbar. Andere sind völlig geschlossen und lediglich durch Schlitze einsehbar. Die Besucher betrachten das Nichts darin und die auf der gegenübergelegenen Seite das Nichts betrachtenden Augen der Kollegen.

An anderer Stelle lassen vier hauchzart gegeneinander gekippte Säulen spüren, welch verwirrende Raumwirkung Peter Eisenmans fast vollendetes "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" in Berlin (am 10. Mai wird es offiziell eingeweiht) inszeniert. Wo du hingehst, dort bist du.

Diese Ausstellung verlangt ihren Besuchern wahrlich harte Arbeit ab, Erholung findet man zwischendurch in den wenigen Kuben, die Architekturmodelle wie etwa die in Bau befindlichen "Ciudad de la Cultura de Galicia" in Santiago de Compostela beinhalten sowie in jenen Bereichen, in denen Eisenman auf Video über seine Arbeit als Theoretiker, Architekt und Lehrer spricht.

Letztere sind zwar angenehme Intermezzi, sie sind der reinen Lehre dieser Ausstellung jedoch letztlich abträglich. Sie sind Spielkarten, die zu einem anderen Spiel gehören - dem der Medien, der, wenn man will, offiziellen, leichter deutbaren "Kulturgesellschaft".

Denn in Summe lassen sich die mysteriöseren und stärkeren Karten, die der einflussreiche Querdenker Eisenman hier gekonnt auslegt, zum Beispiel auch als geschnitten klarer Abgesang auf die zeitgenössische Medien- und Spektakelarchitektur deuten.

"Flagge zeigen"

Interpretationen wie diese freuen den vitalen Amerikaner diebisch: Mit 9/11 habe das größte Medienspektakel seine Inszenierung gefunden, sagt er, und: "Im Zeitalter des Terrors muss die Architektur, die ideologisch und politisch ist, Flagge zeigen, sie kann nicht länger spektakulär und bedeutungsvoll sein. Diese Ausstellung ist meine Antwort darauf, sie hätte nicht vor 9/11 entstehen können. Ich habe für mich beschlossen, eine andere, nach innen gewandte Richtung einzuschlagen, und die ist das Nichts, vielleicht sogar das Minus."

Die Schau, so sagt Peter Eisenman, wäre auch an keinem anderen Ort als in Wien, der Stadt Wittgensteins, Loos und Freuds, möglich gewesen: "Hätte ich sie in New York gemacht, so hätte niemand sie verstanden."

Barfuß auf weiß glühenden Mauern wird sicherlich für Debatte und Verwirrung sorgen, das von vielen erwartete Eisenman-Spektakel blieb aus, dafür darf sich das Wiener Publikum als erstes weltweit über einen neuen, überraschenden Impuls eines der wichtigsten Architekturdenker freuen. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.12.2004)