Die wöchentliche Kolumne von Thomas Rottenberg. Jede Woche auf derStandard.at/
Panorama.

Jetzt auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten der vergangenen drei Jahre - zum Wiederlesen & Weiterschenken.

"Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Echo-Verlag

Manche Leute ziehen immer noch den Kopf ein. Und ich gehöre hin und wieder auch dazu. Ob das Prägung oder Nostalgie ist, hat mich P. neulich gefragt – und ich musste passen: Dass ich immer noch den Kopf einziehe, wenn der 13A sich im vierten Bezirk in der Leibenfrostgasse unter einem Durchhaus durchduckt, war mir gar nicht bewusst. Aber wenn P. sagt, dass auch ich zu den Leibenfrostgassen-Kopfeinziehern gehöre, wird das wohl so sein. Schließlich gehören wir zu jener Generation, die die Strecke Südbahnhof-Altes AKH noch in Stockautobussen fahren durfte. Aber im Gegensatz zu P. bin ich kein 13A-Fetischist.

Es war neulich, in der Nacht. P. wollte mit "Gios-Nightline" fahren. Also jener Nachtbuslinie, mit der die Wiener ÖVP ein paar Wochen lang auf der 13A-Route Busfahren spielte. Weil, so die Politiker, Stadtregierung und Wiener Linien auf dieser Aorta des nichtüberalterten urbanen Wien die Versorgung mit öffentlichen Nachtverkehrsmitteln schmählich vernachlässigen. Weil, dozierten wir Kommunalpolit-Analytiker überschlau, die 13A-Trasse jene Bezirke und Region bedient, in denen Rot, Grün und Schwarz gleichauf sind, weil in den "Battleground Districts" nicht nur punzierte Wählerpotenziale erreichbar sind. Weil, postulierte P., die Stadtschwarzen wüssten, dass sie dermaßen unattraktiv sind, dass sie sich besser heute als morgen nach Betätigungsfeldern abseits der Politik umschauen.

Im 13A-Modus

In jedem Fall wollte P. schauen, wie die ÖVP "seine" Linie bediene. Und auch wenn keiner von uns in den letzten zehn Jahren einen Nachtbus (egal von wem er betrieben wird) benutzt hatte (das sei wohl eine Alters-, Freizeitverhaltens-, und Fahrradfrage, dozierte P. ins Nichts), stiegen wir ein – und fuhren eine Runde. Nicht dass das aufregend gewesen wäre: Wir waren fast allein. Der Bus fuhr. Hielt an. Fuhr weiter. Hielt an. Und hätte P. nicht darauf bestanden zu bleiben, wäre ich nach zwei Stationen wieder ausgestiegen. Aber P. war im 13A-Modus.

P. gehört nämlich zu jenen Menschen, die an den 13A glauben. Nicht daran, dass er kommt, wenn der Fahrplan das behauptet. Nicht daran, dass es in einem der meist zu zweit oder zu dritt kurvenden Busse genügend Platz geben könnte. Genau genommen glaubt P. nicht an den Bus, sondern an die Metaebene der Buslinie. Vielleicht, meint P., läge das – und mein Nichtverstehen des 13A-Kultes eines Mannes, der lieber mit dem Rad den Bus im Stau überholt als selber drin zu sitzen – ja auch daran, dass ich nicht mit dem 13A groß geworden sei: P. ist mit ihm zur Schule gefahren. Später zur Uni. Und während sich alles ringsum irgendwann doch – sogar in Wien – verändert habe, sei der 13A eine Stadtkonstante.

Stockbustrauer

Das erste Mal gespürt, erzählt P. habe er das vor etlichen Jahren: Dass die Wiener Linien die Stockautobusse aus dem Linienverkehr nahmen, sei ihm ziemlich wurscht gewesen. Als aber der letzte 13A mit Aussichtslevel aus dem Verkehr gezogen wurde, tat das weh. Und, sagt P., er habe sich bei dieser Gelegenheit sogar daran erinnert, dass ihm der Wechsel von den ganz alten Stockbussen (mit Heckaufstieg und einander gegenüberliegender zweiter und dritter Sitzreihe) auf die alten (mit Heckabstieg und Mittelgang) in Kindheitstagen das erste Mal das damals noch unbekannte, schmerzlich-ziehende Gefühl eines unwiederbringlichen Verlustes beschert habe. Als Leute wie Bodo Hell sich urbanliterarisch mit seinem Bus auseinander setzten, habe das sein 13A-Gefühl noch bestärkt. Erst neulich habe er, erklärte P., in irgendeinem Heft wieder eine 13A-Geschichte gefunden: Der Filmemacher Florian Flicker habe die auf der Londoner Circle Line und den Wiener Ringlinien schon mehrfach praktizierte Was-passiert-wenn-ich-einen-ganzen-Tag-im- Kreis-fahre-Reportage wiederbelebt. Mit dem üblichen Ergebnis: Irgendwann glaubt man, dass das Verkehrsmittel mit einem spricht, spürt das Feng Shui der Sitze und spürt die Stimmung der Hauswände (P. und ich kannten das – wir waren vor etlichen Jahren einen Tag mit der Linie 1 um den Ring gekurvt).

Stauaffiner Zuckelbus

Dass ich den 13A eher als langsamen, stauaffinen Zuckelbus erleben würde, sagte P., während Gios Nightline an menschenleeren Haltestellen im vierten Bezirk vorbeizog, könne er mir nicht verdenken. Aber ich hätte meine Öffi-Sozialisation eben anderswo erlebt – und wenn die ÖVP je auf die Idee kommen sollte, sich zwischen Favoriten und Simmering als politischer Busunternehmer zu versuchen, würde er, P., mich zur Jungfernfahrt begleiten. Nicht nur, um meine Busnostalgie zu erleben, sondern weil er sich den VP-Chef im zehnten Hieb einfach nicht vorstellen könne. Nicht einmal in einem Stockautobus.