In Frankreich tobt ein Preiskrieg zwischen Bahn und Flugzeug. Die französische Eisenbahn führt in einzelnen Zügen Niedrigtarife ein, um den Billigairlines das Wasser abzugraben. Im Visier hat sie auch Destinationen im nahen Ausland.

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Die ersten Reisenden mit Lowcost-Tickets mussten noch Spießruten laufen: Die Eisenbahnergewerkschaften protestierten im Pariser Gare de Lyon lauthals gegen die Neuerung. Sie befürchten einen Abbau von Arbeitsplätzen, da Reservierungen der billigen Zugbilletts nicht mehr am Schalter, sondern ausschließlich via Internet erfolgen. Auch die Entwertung beim Einsteigen erfolgt automatisch, was einen von zwei Schaffnern überflüssig macht.

Mit solchen Einsparungen drückt die französische SNCF die Preise. Eine Zugfahrt zwischen Paris und der 800 Kilometer entfernten Mittelmeer-Metropole Marseille kostet seit Kurzem nur noch 19 Euro in der zweiten Klasse, frühzeitig reserviert. Der gleiche Tarif gilt zwischen der französischen Hauptstadt und Orten wie Toulon oder Avignon. Der Andrang ist allerdings so groß, dass der Versuch bald auf andere Langstrecken ausgeweitet werden dürfte.

"Lowcost"-Angebote

SNCF-Vorsteher Louis Gallois spricht zwar nicht gerne von "Lowcost"-Angeboten. Er verwendet aber das gleiche Rezept wie Billigflieger: Die billigsten Preise gelten bei frühzeitiger Buchung, zum Teil bis zu vier Monate vor Abfahrt (auch wenn Umtauschen bis zum Schluss möglich bleibt). Außerdem werden die dafür vorgesehenen TGV-Wagons speziell hergerichtet: Im unteren Fahrdeck der Doppelstock-TGV sind Kinder und Handy untersagt, auf dem oberen werden kostenpflichtige Services angeboten.

Experiment

Vor allem preislich orientiert sich das Experiment namens "ID-TGV" (für "Interactif-Détente-TGV") klar an den Billigfliegern. Easyjet bietet Paris–Marseille für 23 Euro (inklusiv Gebühren) an. Der Hochgeschwindigkeitszug TGV war schon bisher bequemer, da er für die 779 Kilometer von Paris nach Marseille nur drei Stunden benötigt und ohne lästige Wartezeiten auskommt. Mit 19 Euro ist er nun auch erstmals billiger. Gallois hofft, den Marktanteil des Zuges auf der Hauptverkehrsstrecke um einige Prozentpunkte auf 66 Prozent zu steigern.

"Europäische Debatte" über Subventionen

Noch härter trifft es die klassischen Airlines. Air France hat in Frankreich gegenüber dem TGV schon massiv Terrain eingebüßt und überlässt heute auch Strecken von Paris nach Lyon oder Brüssel dem TGV. Über dem Ärmelkanal bauen sowohl Air France wie British Airways ihr Angebot laufend ab, während der TGV bereits zwei Drittel der Passagiere befördert. Air-France- Präsident Jean-Cyril Spinetta fordert deshalb eine "europäische Debatte" über die Subventionen aus Paris und Brüssel an das europäische Hochgeschwindigkeitsbahnnetz.

Komplikationen

Die zunehmenden Komplikationen an Flughäfen nützen jedenfalls dem TGV: Konnte es der Schienenblitz bisher mit dem Jet aufnehmen, wenn die Fahrt unter drei Stunden dauerte, wird er heute auch bei Reisen von vier oder fünf Stunden vorgezogen. Deshalb zieht der TGV seine Kreise immer mehr ins grenznahe Ausland wie Amsterdam, Köln, Frankfurt, Zürich, wo die Zugreisezeit ab Paris unter vier Stunden fallen wird. Die betroffenen Fluggesellschaften werden dort gegenüber dem Superschnellzug in wenigen Jahren – buchstäblich – das Nachsehen haben. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD Printausgabe 10.12.2004)