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Ein aufmerksames Publikum und verhaltener Applaus für Elfriede Jelineks Videoinszenierung in Stockholm.

Foto: Reuters
Die enormen Reaktionen auf die Zuerkennung des Nobelpreises an Elfriede Jelinek haben die Schriftstellerin in den vergangenen Wochen zur öffentlichen Figur gemacht, von der alle alles zu wissen glaubten. Ihre Entscheidung, ihre Nobelpreisrede per Video zu übermitteln, hat diese öffentliche Präsenz (vor allem in den elektronischen Medien) noch verstärkt, zugleich jedoch die vermeintlich Wissenden auf wahrhaft angemessene Weise irritiert: "Im Abseits" heißt diese Rede, die Dienstag auf drei Leinwänden in der Bibliothek der Schwedischen Akademie in Stockholm präsentiert wurde (vgl. nebenstehende Dokumentation ). Viele erwarteten ein politisches Manifest. Die Rede, die jede schnelle Konsumierbarkeit verweigert, widerspricht jedoch in Vielem dem, was die mediale Maschinerie der letzten Wochen zu inszenieren versuchte: die Stilisierung der Autorin zur Agitatorin, die Fixierung von Jelineks Schreiben auf Frauenfragen und Politik.

Die Rede ist viel mehr als ein tagesaktueller Text. Sie ist eine Erkundung des Verhältnisses von literarischer Sprache und Wirklichkeit, eine Untersuchung des literarischen Sprechens, das in Gegensatz zum öffentlichen Sprechen gerät und sich zuletzt gegen die Schreibende selbst richtet. Sprachmächtig wird von Jelinek die Flüchtigkeit der Sprache beschworen und die eigene Existenz im "Abseits" behauptet. Jelineks Nobelpreisrede ist eine persönliche, in manchen Passagen auch biografisch gehaltene Reflexion einer Schriftstellerin und zugleich ein poetologischer Grundsatztext.

Die in Stockholm vorgeführte Videoeinspielung zeigte Jelinek, die in ihrem Haus die Rede von einem Notenständer abliest. Diese Inszenierung der Lesung als "Hausmusik" unterstrich das Persönliche des Textes, doch die Privatheit war zugleich durchstilisiert und mit Bedeutung aufgeladen. So verwies der Notenständer auch auf die "kompositorische" Form von Jelineks Spracharbeit, so wurde durch die farbliche Abstimmung von Jelineks Kleidung und Bildhintergrund auf das Vorgelesene fokussiert. Der Betrachter wurde auf das zurückgeworfen, was die Rede selbst thematisiert, auf das Sprechen, auf die Sprache: Jelinek spricht, und zugleich spricht ihr Text, und in ihrem Text sprechen die Stimmen vieler anderer Schriftsteller/innen mit. Mit der der Videoinszenierung verweigerte sie somit letztlich genau das, was eine sensationsgierige Öffentlichkeit erhofft hatte: eine persönliche Annäherung an die Autorin. Die besondere Form der Präsentation machte jedoch erfahrbar, was Jelineks Werk im Eigentlichen ausmacht und wofür sie den Nobelpreis erhält: ihre Sprachkunst.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.12.2004)