Eine Bewegung Syriens auch an der außenpolitischen Front hält der Nahostexperte Volker Perthes, Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin, für durchaus möglich: Wenn die USA und Israel richtig auf die "heftigen Avancen" von Präsident Bashar al-Assad reagieren würden, sei ein "substanzieller Rückzug" Syriens aus dem Libanon, vielleicht auch die Geheimdienste betreffend, möglich, allerdings erst nach den libanesischen Parlamentswahlen. Syrien-Spezialist Eyal Zisser von der Universität Tel Aviv sieht das anders: "Assad kann sich nicht leisten, den Libanon aufzugeben, er wird weiter manövrieren", nur von Zeit zu Zeit ein paar Truppen abziehen oder verlegen.

Für Zisser sind auch die syrischen Friedensangebote an Israel viel zu schwach, sie kämen immer nur indirekt, über Gesprächspartner Assads, und würden später relativiert. Perthes hingegen meint, Assad sei sich bewusst, dass seine prioritäre Agenda - die Modernisierung und wirtschaftliche Entwicklung Syriens - nur mit einem Friedensschluss funktioniere. Ob er dazu stark genug sei? Perthes zählt "gesichtswahrende Lösungen" für Syrien auf: Man könne die territorialen Fragen einem internationalen Gericht überlassen, wobei dann die alte Grenze am See Genezareth "neu definiert" werden könnte: 1967 sei sie am Wasser verlaufen, durch Zurückgehen des Wasserpegels aber eben heute nicht mehr.

Auch zu einem neuen syrisch-palästinensischen Verhältnis differieren die Meinungen der renommierten Experten: Zisser meint, dass, auch wenn die Animositäten beigelegt werden, die Syrer weiter ihr Interesse verfolgen werden: dass sich der palästinensisch-israelische Prozess nicht "auf ihre Kosten" entwickle. Perthes sagt, Assad erkenne, "dass die palästinensische Karte nicht mehr in syrischer Hand ist", das heißt, er werde sich mit Mahmud Abbas arrangieren und nicht intervenieren, wenn sich dieser mit der Exil-Hamas-Führung in Damaskus arrangiert.

Inszenierung?

Während Zisser aus den widersprüchlichen Statements nach Assads Kairo-Besuch - der Sprecher von Präsident Hosni Mubarak hatte von einer neuen Position Damaskus' gesprochen, aus Syrien kam prompt ein Dementi - abliest, dass Assad es nicht wirklich ernst meint, macht Perthes darauf aufmerksam, dass das in der Region für eine "Inszenierung" gehalten wird: Für Assad sei es eben schwierig zu sagen: "Wir geben etwas auf", deshalb lässt man es die Ägypter sagen.

Aber Zisser, der selbst stark für eine Wiederaufnahme der israelisch-syrischen Verhandlungen ist (in Israel nicht unbedingt eine Mehrheitsmeinung, denn ohne Aufgabe des Golan wäre ein Friedensschluss wohl nicht möglich), bleibt dabei: Bashar al-Assad habe noch keine "Vision wie Sadat", noch sei er nicht stark genug, habe nicht genügend Erfahrung und keine Mentoren. Und wenn er es wirklich ernst meine, dann verstehe er eben die heutige Medienwelt nicht: dass nicht entscheidend ist, was einer im Inneren fühlt und denkt, sondern das, was er im Fernsehen sagt. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.12.2004)