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Auch wenn die Praxis des Potlatsch ziemlich radikal anmutet, für eine Theorie des Geschenketauschs ist sie von zentraler Bedeutung. Potlatsch, dieser Begriff beschreibt ein exzessives Gabenfest bei Indianerstämmen der amerikanischen Nordwestküste, in dessen Verlauf Prestigegüter und Nahrungsmittel verteilt wurden. Bis die kanadische Regierung 1884 die Organisation der Potlatschs untersagte, da die Betroffenen in den Ruin getrieben wurden, war dessen Durchführung ein essenzieller Teil im Stammesleben.

Um seine Autorität zu beweisen und um zu zeigen, dass er über große Reichtümer verfügt, verteilt ein Stammesführer Gaben an die eingeladenen Stämme, Klans oder Familien. Die Beschenkten haben die Pflicht, diese Gaben anzunehmen, auch wenn sie sie auf einer symbolischen Ebene demütigen. Ihre Ehre kann erst dann wieder hergestellt werden, wenn die Beschenkten die Gabe durch Gegengeschenke erwidern. Im Normalfall besteht dabei die Wertsteigerung der Geschenke zwischen 30 und 100 Prozent für jedes Jahr, das zwischen den einzelnen Potlatschs liegt. Das fordert wiederum den jetzt Beschenkten heraus. Und so weiter und so fort.

Beschrieben hat dieses System der wechselseitigen Verpflichtungen und Verschuldungen der französische Ethnologe Marcel Mauss in seinem 1925 erschienenen Epoche machenden "Essai sur le don". Seit damals gehören Theorien zur Praxis der Gabenverteilung zu den interessantesten Feldern der Ethnologie und Kulturanthropologie. Sie sagen nämlich auch eine ganze Menge über unseren Umgang mit Geschenken aus.

Geben verpflichtet

Die Hypothese, dass das, was zum Geben verpflichtet, eben die Tatsache ist, dass Geben verpflichtet, gehört zu jenen Tatsachen, die selten ausgesprochen werden und dennoch unser soziales Leben bestimmen. Zwischen demjenigen, der gibt, und demjenigen, der annimmt, stellt sich eine doppelte Beziehung her, eine der Solidarität und eine der Superiorität, da derjenige, welcher die Gabe empfängt, sich gegenüber demjenigen, der ihm etwas gegeben hat, in eine Schuld begibt.

Diese Ungleichheit zwischen Schenker und Beschenktem stellt eine Hierarchie her - oder aber befestigt sie, wenn diese bereits vor der Gabe existierte. "In ein und demselben Akt sind also zwei entgegengesetzte Bewegungen enthalten. Die Gabe nähert die Protagonisten an, weil sie Teilen ist, und sie entfernt sie sozial voneinander, weil sie den einen zum Schuldner des anderen macht." Mit diesen Worten bringt Maurice Godelier das Zentrum von Mauss' Gedanken auf den Punkt. Der berühmte französische Ethnologe hat vor einigen Jahren den Ansatz seines Vorgängers, der von Claude Lévi-Strauss bis Jacques Derrida eine ganze Reihe von Denkern befruchtete, noch einmal weitergedreht.

Er geht von den Dingen aus, die man behält, den "heiligen Objekten" sozusagen, und zeigt, dass es durchaus möglich ist, Dinge zu geben und sie sogleich zu behalten. Gegeben wird etwa das Nutzungsrecht, bewahrt wird das Eigentum. Dinge, die nicht verschenkt werden, und die - so Godelier - dem Menschen auch nicht gehören, verbürgen die Identität der Klans und Gemeinschaften und ermöglichen so erst das Funktionieren der modernen Gesellschaften. In einer durchökonomisierten Welt ein tröstlicher Gedanke. (Stephan Hilpold/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 12. 2004)