Warum es manchen Studierenden ziemlich wurscht ist, ob die Hochschülerschaft in ihrer derzeitigen Organisationsform mundtot gemacht wird oder nicht: Sie lässt ja auch sonst nichts von sich hören . . .

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Wenn Vertreter/innen der Österreichischen Hochschülerschaft mit selbst gebastelten Leiberln ("Ö-H-M-U-N-D-T-O-T") auf der Galerie des Parlaments stehen (und dabei fotografiert werden wollen), weiß man, dass sich Frau Gehrer wieder etwas einfallen hat lassen. Diesmal erregt eine Änderung des Wahlrechts, die als "Umfärbungsaktion" der Bundesvertretung interpretiert wird, die ÖH-Gemüter. Diese soll – wie immer bei dieser Regierung – ohne Partizipation am Entscheidungsfindungsprozess durch die betroffenen Personen – also die Studierenden – passieren.

Erhellender Vergleich

Zwar bin ich weit davon entfernt, Frau Gehrers politischen Gedankenmüll zu verteidigen. Doch will ich die allgemeine Aufregung dazu nutzen, die Organisationsform der ÖH und damit deren politische Stärke kritisch zu betrachten. (Wenngleich sich meine Zuversicht, dass dies zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen wird, in Grenzen hält).

Die ÖH ist die gesetzlich verankerte Interessenvertretung der Studierenden. Die Mitgliedschaft ist nicht freiwillig, und gerne rühmt man sich damit, dass die Zwangsmitgliedschaft durch eine im Jahr 1991 durchgeführte Abstimmung irgendwie auch plebiszitär bestätigt oder gerechtfertigt wurde.

Vergleichen wir die ÖH zunächst mit der (man mag es gerne hören oder nicht) derzeit wohl erfolgreichsten Interessenvertretung in diesem Land: der Österreichischen Wirtschaftskammer (WKO). Besondere Kennzeichen: eine Vielzahl organisatorischer Ebenen – Spartenvertretungen, Länderkammern, Fachgruppen, Fachvertretungen, Wirtschaftsparlament, etc.; das Wahl- und Bestellungsrecht der einzelnen Gremien und Funktionsträger ist ausge 2. Spalte sprochen komplex. Alle Gewerbetreibenden werden jedoch regelmäßig zu den Urnen gerufen, um jene WKO-Ebene zu wählen, die den Problemen ihrer Klientel am nächsten steht (in der Regel sind dies die Fachgruppen oder Fachvertretungen). Und: An der Spitze agiert ein Team, das sein politisches Amt nur zu gut beherrscht – nicht zuletzt dank der Statur eines Christoph Leitl, der als Einflüsterer und Durchsetzer bei seinen VP-Kollegen ziemlich erfolgreich ist.

Auch wenn die Kammer der Arbeiter und Angestellten (AK) eine völlig andere Gruppe erwerbstätiger Menschen vertritt und unter den derzeitigen Bedingungen mit ihrer Arbeit weniger Erfolg hat als die WKO, so ist deren Organisationsform doch sehr ähnlich: geprägt von einer starken, hauptberuflich tätigen und juristisch wie politisch bestens ausgebildeten Funktionärsschicht in allen Gremien und auf allen organisatorischen Ebenen. Auch hier finden sich sehr viele verästelte Teilorganisationen, bis hinein in die Betriebe – wieder um möglichst nah an den zu vertretenden Menschen und deren Problemen sein zu können. Und auch in der AK steht alle paar Jahre eine Wahl ins Haus, an der alle Mitglieder teilnehmen können. Für beide Organisationen, WKO und AK, gilt: Es herrscht Zwangsmitgliedschaft, und es gibt ausreichend gut bezahlte und hauptberufliche Spezialisten, die sich ausschließlich den Serviceaufgaben und solchen der Interessensvertretung widmen können.

Bei der ÖH ist, abgesehen von der Pflichtmitgliedschaft, alles anders. Die Funktionäre sind selbst aktive (also nicht etwa freigestellte) Studierende. Sie müssen bei jenen Personen Seminare und Prüfungen absolvieren, mit denen sie noch am Vortag über wichtige universitätspolitische Themen verhandeln sollten. Sie stehen mitten in der Ausbildung, haben weder rhetorische noch politische Erfahrung, sollten eigentlich studieren . . . Außerdem gibt es unter den Funktionären eine hohe Fluktuation, da es ja – anders als in den Kammern – das explizite Ziel jedes Mitglieds der Gruppe der Studierenden ist, aus dieser Gruppe möglichst bald und möglichst erfolgreich auszuscheiden; anders gesagt: Jeder Funktionär muss ja auch mit dem Studium fertig werden, will er/sie nicht durch die inhumane Sozialgesetzgebung dieser und anderer Regierungen hoffnungslos verarmen.

Warum zum Beispiel, frage ich, müssen Studierende sich von anderen Studierenden "beraten" und "vertreten" lassen, die von Juristerei keine Ahnung haben und daher bei der Interpretation maßgeblicher Gesetzen und Verordnungen schlicht überfordert sind? – In Wahrheit gibt es nur einen Grund dafür, dass die Vertreter/innen der Studierenden die am wenigsten ausgebildeten und abhängigsten Interessenvertreter Österreichs sind: nämlich den, dass es für alle – die Professorenkurie, die Universitätsverwaltung und nicht zuletzt für die jeweils im Amt befindliche Regierung – ausgesprochen bequem ist, schwache und unkonstante Gegner zu haben. Niemand würde auf die Idee kommen, wichtige Funktionen der WKO nur von unerfahrenen und finanziell abhängigen Jungunternehmern erfüllen zu lassen. Niemand würde die Geschäfte der AK ausschließlich in die Hände von Lehrlingen legen. Doch genau das geschieht in der ÖH.

Wozu wählen?

Es würde diesen Beitrag sprengen, die Auswirkungen der beschrieben organisatorischen Defizite im Detail zu referieren. Nur so viel: Die Liste der Versäumnisse der ÖH ist lang und dokumentiert hinlänglich, warum sich niemand über das beschämende Wahlbeteiligungstief zu wundern braucht. Ich jedenfalls kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es angesichts ihres derzeitigen Zustands der Bewusstlosigkeit völlig nebensächlich ist, ob die ÖH "mundtot" gemacht werden soll oder nicht – sie lässt ja auch so nichts von sich hören, obwohl sie doch rufen, nein, schreien sollte! (DER STANDARD, 23.11.2004)