Ein Klassiker des Paranoia-Kinos: Der Manchurian Kandidat. 1962 wurde Frank Sinatra darin als Veteran des Koreakriegs zum Opfer kommunistischer Gehirnwäsche. Das Remake Jonathan Demmes geht im Amerika dieser Tage weiter und erzählt über perfide Großkonzerne, deren Interessen im Weißen Haus und einen manipulierten Politiker (Liev Schreiber), der sich von seiner Mutter zum Kriegshelden und Vizepräsidentschaftskandidaten aufbauen lässt. Oscarpreisträgerin Meryl Streep spielt diese ehrgeizige Mutter und Senatorin mit beängstigender Präzision ...
STANDARD: Demmes Film kritisiert das US-Establishment,
ohne dezidiert die Republikaner an den Pranger zu stellen.
Hätten Sie sich als deklarierte
Demokratin eine schärfere Attacke gewünscht?
Streep: Man macht es sich zu
leicht, wenn man die Republikaner zu Bösewichten erklärt.
Natürlich hätten wir alle gerne
einfachen Antworten auf komplexe Zustände. Aber die
Wahrheit ist eben immer komplizierter, als uns lieb ist. Beide US-Parteien und beinahe
alle Regierungen der "zivilisierten" Welt werden von dem
unglaublichen Einfluss des
Geldes untergraben. In jeder
beliebigen Kultur und Gesellschaft können Sie ähnliche
Mechanismen entdecken. Einige Länder betreiben diese
Mischung aus Politik und Geschäft bloß ein wenig offensichtlicher als andere ...
STANDARD: An wen dachten Sie
bei Ihrer Darstellung – an Hillary Clinton oder gar Margaret
Thatcher?
Streep: Weder noch. Ich
hätte gerne weibliche Vorbilder für die Rolle gehabt,
konnte aber kaum Senatorinnen in den USA finden. Daher
habe ich vor allem das Verhalten und Aussehen der männlichen Politiker studiert, denn
die brauchen ihren Ehrgeiz
nicht so zu maskieren wie die
Frauen. In meiner Rolle wollte
ich so sein wie sie – skrupellos
und gnadenlos direkt.
Natürlich habe ich auch weibliche Politiker beobachtet und dabei ihren immer gleichen konservativen Stil entdeckt – sie kleiden sich in pastellfarbene Kostüme, wollen auf keinen Fall aggressive Farben verwenden und bloß kein Schwarz. Bei den Accessoires gibt es eine Art heilige Dreieinigkeit: Kette, Brosche und Ohrringe.
STANDARD: Welche Extravaganzen darf sich so eine Politikerin
auf keinen Fall leisten?
Streep: Eine Senatorin würde
als Politikerin nie ernst genommen, wenn sie etwa lange
Ohrringe tragen würde. Das
wirkt viel zu verrückt. Auf die
meisten Menschen wirken
weibliche Führungspersönlichkeiten schon verstörend
genug, aber wenn sie sich dazu noch sexy anziehen und
lange Ohrringe herumbaumeln lassen – das könnten die
wenigsten verkraften.
Eine andere eherne Regel: Trage niemals schwarze Kleider, scharfkantigen Schmuck oder originelle Ketten. Alles muss rund sein. Und bloß kein Dekolletee zeigen! Mächtige Frauen müssen in ihrem Auftreten extrem vorsichtig sein. Selbst, ja gerade eine originelle Frau wie Hillary Clinton muss die "Uniform" tragen.
STANDARD: Was macht weibliche Führungspersönlichkeiten
so bedrohlich?
Streep: Freud hätte sicher eine
Erklärung wie diese parat: Es
geht um die Furcht vor der
Mutter. Mich faszinierte an
der Rolle der Senatorin, dass
sie nicht den leisesten Schatten eines Zweifels zu kennen
scheint. Sie ist Ideologin, regelrecht Fundamentalistin.
Viele Führungspersönlichkeiten haben diese Fähigkeit,
sich nur auf das zu konzentrieren, was sie wollen. Frauen
wie Thatcher oder Madeleine
Albright etwa treffen Entscheidungen, können sie
nicht kontrollieren – und bleiben in jedem Fall unerschütterlich.
STANDARD: Wie schwer ist es, eine Figur zu spielen, die keine
Zweifel kennt?
Streep: Das war eine Herausforderung, denn als Schauspieler will man eher zerbrechliche, widersprüchliche
Seiten zeigen. Ich selbst zweifle an allem! Wenn ich Ihnen
jetzt etwas erzähle, fällt mir
dazu sofort eine Ausnahme
ein. (lacht) Aber irgendwie
muss man sich ja festlegen,
um weiterzukommen, oder?
STANDARD: Sie haben oft selbstbewusste, starke Frauen verkörpert. Worin unterscheidet
sich die Senatorin Eleanor
Shaw von Karen Blixen in Out
of Africa oder von Karen Silkwood in Silkwood?
Streep: Frauen in politischen
Führungspositionen müssen
sich in vieler Hinsicht dafür
entschuldigen, dass sie es so
weit gebracht haben. Eines Tages wird die Gesellschaft gelassener mit ihnen umgehen,
sie akzeptieren. Wir machen
Fortschritte! (lacht)
STANDARD: Als eine der besten
Schauspielerinnen der Welt
wurden Sie oft ausgezeichnet.
Sind Sie mittlerweile so selbstbewusst, dass Sie kein Lampenfieber mehr haben?
Streep: Nein, ich werde immer
noch unglaublich nervös,
wenn ich eine neue Rolle spielen soll! Denn ich habe nie das
Gefühl, dass ich als Schauspielerin schon etwas "bewiesen" habe. Meine Arbeit ist ein
ewiges Experiment, bei dem es
keine Gewissheiten und Sicherheiten gibt.
Jeder Künstler kennt diese Befürchtung, Unsicherheit. Auch mein Mann (Don Gummer, seit 1978 mit Streep verheiratet) muss als Bildhauer vor jeder neuen Skulptur immer wieder mit der Angst vor dem kreativen Scheitern zurechtkommen. Genauso wie Schriftsteller gegen die lähmende Vorstellung von der leeren Seite kämpfen müssen. Meine ständigen Selbstzweifel helfen mir wahrscheinlich, den Dingen auf den Grund zu gehen und etwas Neues zu wagen ...aber auch da bin ich mir nicht ganz sicher.
STANDARD: Sie wurden 13-mal
für den Oscar nominiert – mehr
als jede andere Schauspielerin
– aber haben ihn "nur" zweimal gewonnen. Gehen Sie da
immer noch mit freudigen Erwartungen zur Zeremonie?
Streep: Ich liebe die Verleihung, aber ich hasse es, vorher
das richtige Kleid auszuwählen. Es macht Spaß, weil ich
dann jeden im Raum kenne.
Schließlich habe ich mittlerweile mit fast allen Schauspielern in Hollywood gearbeitet.
Daher müssen sie mir auch
ihre Stimme geben!
STANDARD: Können Sie als Mutter von vier Kindern verstehen,
dass man seinem Nachwuchs
mit allen Mitteln zum Erfolg
verhelfen will?
Streep: Ich würde meine Kinder nie manipulieren oder
zum Erfolg abrichten. Wir haben in den USA Medikamente,
die die Kinder bei Prüfungen
leistungsfähiger und mutiger
machen. Viele schlaue, gutherzige Eltern sagen sich
dann: Okay, ich werde sie meinem Kind nicht für den Rest
seines Lebens geben, aber wir
würden es doch so gerne sehen, dass er die Aufnahmeprüfung für Havard schafft! Eltern geben ihren Kindern Drogen, um sie nach oben zu bringen. Aus guten Absichten heraus tun die Menschen die
verrücktesten Dinge.
STANDARD: Haben Sie jemals
mit der Idee gespielt, in die Politik zu gehen?
Streep: Nein, dazu bin ich viel
zu unkontrolliert, ungeduldig,
unberechenbar und kann
schnell explodieren – und ich
brauche diese imaginäre Welt
des Films. Ohne das Schauspielen wäre ich ein unglücklicher Mensch. Immer wenn
ich wegen meiner Kinder einmal eine notwendige Pause
eingelegt habe, vermisste ich
das Kino schnell.