Das gewonnene Kräftemessen um die EU-Kommission hat das Europaparlament beflügelt. Angespornt von seinem Erfolg, den der Austausch zweier Kommissare bedeutet, wollen sich die Abgeordneten nun auch in der Türkei-Frage einbringen.

"Als die einzige direkt gewählte EU-Organisation haben wir das Recht, unsere Meinung auszudrücken" begründet Parlamentspräsident Josep Borrell die Initiative. An sich wäre vorgesehen, dass das Europaparlament erst nach einem etwaigen Abschluss von Beitrittsverhandlungen über einen Türkei-Beitritt abstimmt - was ungefähr im Jahr 2014 der Fall gewesen wäre. Nun aber hält das Parlament schon jetzt ein Türkei-Votum ab.

Diese Abstimmung am 2. Dezember findet bewusst vor dem EU-Gipfel der Staats-und Regierungschefs am 17. Dezember statt, auf dem über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei entschieden wird. Diese Terminsetzung macht das Votum des Europaparlaments spannend: Denn rechtliche Fol- gen hat die Parlamentsabstimmung nicht, weil sie in keinem Vertrag vorgesehen ist.

Daher wird der formale Umweg einer Abstimmung über einen Türkei-Bericht des Parlaments gegangen. Das Votum hat aber sehr wohl politische Brisanz: Die Staatschefs werden das Signal des Parlaments genau verfolgen. "In der heiklen Frage werden die Staatschefs bemüht sein, nicht gegen das Parlament zu entscheiden", formuliert Hannes Swoboda, parlamentarischer Geschäftsführer der Sozialdemokraten.

Konservative für Nein

Das Parlament ist aber in der Türkei-Frage tief gespalten. Die größte Fraktion, die Europäische Volkspartei (EVP), fährt einen strikten Antibeitrittskurs. Der Fraktionschef der Konservativen, Hans-Gert Pöttering, verfolgt die Linie seiner deutschen CDU: "Aufgrund der Menschenrechtslage, Stichwort Folter, ist es verfrüht, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beginnen." In der zweitgrößten Fraktion, bei den Sozialdemokraten, überwiegen hingegen die Befürworter von Verhandlungen, detto bei Liberalen und Grünen. Ein Nein des Parlaments zu Verhandlungen wäre daher eine Überraschung.

Vor dem Türkei-Votum stimmt das Parlament aber über die neue Kommission ab, und zwar am 18. November. Damit wird das Provisorium der Ehrenrunde für die Prodi-Kommission beendet.

"Beraterin" Ferrero

Davor gibt es Provisorien für die neuen Kommissare: Benita Ferrero-Waldner hat derzeit einen Vertrag als "Beraterin" der Kommission (6000 Euro Honorar plus Hotelkostenersatz). Ihr Kommissarsgehalt (18.000 Euro) bekommt sie erst ab Amtsantritt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.11.2004)