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Ein Kind zündet vor dem Krankenhaus in Paris, in dem Yassir Arafat liegt, Kerzen an. Auch am Freitag gab es widersprüchliche Meldungen über die Tiefe seines Komas.

Foto: Reuters

Yassir Arafat stirbt in Paris, und plötzlich denkt jeder daran, dass da ein Muslim in einem europäischen Krankenhaus an lebenserhaltenden Maschinen hängt – etwas, das in Wahrheit natürlich Alltag ist. Gibt es also etwas typisch Islamisches an Arafats Sterben?

Zunächst ist einmal daran zu erinnern, dass die islamische ganz klar Teil der westlichen Wissenschafts- und Medizingeschichte ist – die Europäer bauten ja auf den arabischen Leistungen auf diesem Gebiet auf. Wenig überraschend ist deshalb auch die islamische medizinische Ethik nicht wirklich anders.

Tod ist ein Mensch (zitiert nach einer Stellungnahme des Zentralrats der Muslime in Deutschland, die sich auf die Internationale Versammlung für Islamisches Rechtswesen bezieht):

1. Bei vollständigem irreversiblem ärztlich festgestellten Herz- und Atemstillstand.

2. Bei irreversiblem ärztlich festgestelltem Ausfall der Hirnfunktion, auch wenn die Herz- und Atemfunktion noch mechanisch aufrechterhalten wird bzw. mechanisch aufrechterhalten werden kann.

Weiters wird festgestellt, dass "ein Hinauszögern der Feststellung des Todes, wenn schon die vitalen Funktionen und die Hirnaktivität irreversibel erloschen sind, aus islamischer Sicht im Widerspruch zur Würde des Menschen und zu seinem Recht auf würdevolle Behandlung, sowohl im Leben als auch im Tod steht".

Der genaue Zeitpunkt des Todeseintritts ist genauso Anlass für Forschung und Debatten wie anderswo: Im Islam ist der Todeszeitpunkt derjenige, an dem die Seele den Körper verlässt, aber da dies nicht beobachtbar wird, wird eben der Tod aufgrund körperlicher Merkmale festgestellt.

Zu weiteren westlichen Ondits: Eine Autopsie ist im Islam tatsächlich nicht erwünscht (wenn es Gründe dafür gibt, wird sie selbstverständlich vorgenommen), hingegen wird die Organspende als gute Tat betrachtet (so hat etwa der Großmufti von Ägypten seine Organe zur Weitergabe bestimmt).

Der Islam ist ja traditionell sehr wissenschafts- und technologiefreundlich, der Glaube ans Machbare ist wahrscheinlich noch stärker ausgeprägt als bei den postmodernen Europäern. Mit der Gentechnik hat der Islam genau die gleichen Probleme wie alle anderen Schöpfungsreligionen.

Wenn, was angenommen werden kann, der Zustand Arafats wirklich irreversibel ist, kann man damit rechnen, dass noch während des Ramadans bis Mitte November (14.) die Maschinen abgestellt werden. Der Tod in den heiligen Nächten am Ramadanende ist eine besondere Segnung.

Übrigens hatte der STANDARD bereits einen Tag vor Ramadanbeginn Mitte Oktober die Nachricht über den Tod des Präsidenten der Vereinten Arabischen Emirate, des Emirs von Abu Dhabi, Sheykh Zayed bin Sultan al-Nahyan, erhalten, diese aber, weil sie nicht bestätigt wurde, nicht veröffentlicht.

Sheykh Zayeds Tod wurde dann am 2. November offiziell gemeldet. Dazwischen könnte etwas liegen, was dem jetzigen Zustand Arafats nicht unähnlich ist. Der Sheykh starb jedenfalls im heiligen Ramadan, und die Einsetzung seines Sohns als neuer Präsident, für die ein Monat Zeit gewesen wäre, dauerte nur einen Tag, alles bestens vorbereitet. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 7./8.11.2004)