Wien - Er hatte etwas von einem Klassentreffen der arrivierten Stars - dieser Fidelio: Waltraud Meier, Kurt Rydl, Falk Struckmann und Johan Botha Seite an Seite, Ton an Ton für und wider die Freiheit singend, die junge Genia Kühmeier freundlich assistierend mit dabei.

Die Salzburgerin war es dann aber, welche mit ihrer makellosen Leistung den Abend an der Wiener Staatsoper sanft überstrahlen sollte: Nicht nur ihr als Marzelline war zeitweise "so wunderbar", auch das Publikum empfand bei der akustischen Konsumation ihrer Vokalkunst Ähnliches.

Als wäre dies an Glückförderndem noch nicht genug, zauberte das Staatsopernorchester unter der Anleitung des opernhäuslichen Musikdirektors Seiji Ozawa zu dem von Kühmeier angesungenen Quartett auch noch eine Streichereinleitung hin, so innig, warm und zart, dass man - endorphingeflutet von der kleinen Zeh bis zur Großhirnrinde - innerzerebrale Merkzettel über kleinere orchestrale Holprigkeiten zu Beginn des Abends sogleich zerknüllte und in den Papierkorb des Gedächtnisses feuerte.

Von Waltraud Meiers weltweit zigster, wiennah erster Leonore blieben sowohl der Eindruck größter darstellerischer Intensität in der Erinnerung haften - als auch ihre Spitzentöne im zweiten Akt, vermittels derer die deutsche Diva die Not der couragierten Protagonistinnenseele kongenial in eine akustische Nötigung der bühnennah platzierten Hörerschaft umzusetzen verstand.

Falk Struckmann gab in der mittelalten Otto-Schenk-Inszenierung einen gockelig wichtigtuerischen, stimmlich mit Wucht und Schärfe beeindruckenden Don Pizarro; Struckmanns Brust-raus-Pose wurde konterkariert von einem Rocco, den Kurt Rydl förmlich aus dem Bauch heraus anlegte. Johan Botha, der Florestan, ließ sein eröffnendes "Gott" aus dem Nichts zu umfassender Mächtigkeit erblühen und wieder zu einem Nichts verwelken: die übermenschlichste Tat des Abends.

Beim Wiener Staatsopernchor zeitigte die üppige Probenzeit der musikalischen Neueinstudierung den Speck einer überaus intensiven, würzigen Darstellung von Beethovens Freiheitsoper, welche Seiji Ozawa insgesamt in eher behutsam weichen, zarten Farben und transparenter Linienführung nachzeichnete: als Revolte in Samt. (DER STANDARD, Printausgabe,2.11.2004)