Foto: Stadtkino
Wien - Das Gemälde zeigt eine Gruppe von Gefangenen. Man hat ihnen die Augen verbunden, sie mit einem Strick aneinander gefesselt. Fiel einer von ihnen hin, wurde er geschlagen, erzählt Vann Nath, der Protagonist aus Rithy Panhs Dokumentarfilm S 21, la machine de mort Khmère Rouge. Er war eines der Opfer der kambodschanischen Roten Khmer. Mit dem Gemälde hat er einem Erlebnis, das er nicht sehen konnte, zu einem Bild verholfen.

Panhs Film baut dieses Bild gewissermaßen weiter aus, er fragt nach der Logistik und Systematik des Terrorregimes, das über zwei Millionen Menschen ermorden ließ: Mit zwei einstigen Gefangenen, darunter Vann Nath, kehrt er zurück ins Lager S 21, in eine der effizientesten Folter- und Tötungsinstitutionen, und konfrontiert sie dort mit einigen Tätern von damals.

Ein unzumutbarer Ausgangspunkt, sollte man glauben. Doch das leere Gebäude wird zum gespenstischen Ort einer Vergegenwärtigung von Geschichte, deren Auswirkungen traumatisch fortwirken. Panhs Verfahren kann überhaupt erst gelingen, weil die Verbrechen bis heute verschwiegen werden: Weder den Führungskader "Angkar" noch dessen indoktrinierten Vollstrecker hat man vor Gericht gestellt. Deshalb fehlt ein kollektives Wissen um die Vergangenheit, die Herausbildung eines Bewusstseins und einer Moral. Täter können sich hier noch als Opfer einer Maschinerie begreifen.

S 21 umgeht übliche dokumentarische Konventionen: Es gibt keine Interviews, keine übergeordnete Erzählinstanz. Vielmehr dienen die rigiden Aufzeichnungen aus dem Lager - diverse Protokolle, Losungen, aber auch erzwungene Geständnisse - als Mittel, den Apparat des Tötens zu verstehen. Panh lässt die Dokumente vorlesen, worüber die Mechanik der Folter und der Anonymisierung des Mordens zutage tritt.

Von den Schriftzeugnissen gelangt er zum Körpergedächtnis: In einer Form von theatraler Nachstellung führen die Wärter ihren Umgang mit den Gefangenen, ihre Rituale der Demütigung vor. Dieser mimetische Prozess bleibt aber eine Repräsentation, die um ihre Unvollkommenheit weiß: Sie zeigt an, wie sehr den Tätern ihre "Arbeit" in Fleisch und Blut übergegangen ist, während das verfallende Haus dafür ein abstraktes Setting bleibt; ein Labor, das die Systematik des Mordens als Effekt einer Befehlsgewalt ausweist.

Vann Naths Fragen nach der persönlichen Verantwortung, von der auch seine Bilder erzählen, finden hier noch keinen Nachhall. S 21 setzt einen Schritt davor an, wenn er die Frage nach dem Funktionieren stellt. Er schafft damit einen Raum, der zwar noch keinen Dialog zulässt, in dem aber ein erster Austausch von Erfahrungen stattfinden kann. (DER STANDARD, Printausgabe, 30./31.10./1.11.2004)