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REUTERS/Paolo Cocco
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Irgendwann war der Cowboyhut aus seinem Faschingsdasein erwacht und machte einen kurzen Exkurs in die Fashion-Szene. Er wurde in Jeanswerbungen getragen, aber auch auf fotokünstlerischen Modefotografien von Juergen Teller. Es gab eine sehr kurze Zeitspanne, in der man mit einem Cowboyhut ausgehen konnte und nicht verkleidet aussah, sondern lediglich sehr gut informiert über die kommende Mode. Die meisten Menschen versäumten diesen vielleicht zwei, drei Wochen andauernden Lichtmoment des Stetsons, und viele verzichteten klugerweise anschließend darauf, den Trend durch massives Ausreizen wieder ins Mode-Jenseits zu befördern. Denn aufgrund einer umgehenden Vereinnahmung durch die Skihütten-und Strandparty-Szene, die auf Alkopops und mit nicht viel mehr als einem glitternden Hut bekleidet in jede Kamera, die sich anbot, hineinlachte, endete der Hut wieder da, wo er hergekommen war: in der Faschingsabteilung.

Es gibt wenige Bekleidungsstücke, denen man das Attribut "albern" so selbstverständlich anheftet wie dem Hut. Alberne Gürtel: kommen so gut wie nie vor, bei Google ist damit kein einziger Treffer zu erzielen. Alberne Schuhe: gelegentlich, alberne Socken schon eher, sofern sie mit Sylvester und Tweety bedruckt sind. Aber keines dieser Accessoires erzeugt dieselbe Regelmäßigkeit, mit der von albernen Hüten die Rede ist.

Wer Hut trägt, steht unter dem Generalverdacht, sich irgendwie wichtig machen zu wollen - oder ein Haarproblem kaschieren zu wollen. Beides gilt als unpopulär. Mützen gerne, mit Schirm oder ohne, winters wie sommers. Aber Hüte? Albern.

Im Zuge der Achtzigerjahre-Wiederbearbeitung durch die Medien ("Die schlimmsten Videos! Die härtesten Frisuren!") wurde Boy George von der britischen Band Culture Club als Anführer der Alberne-Hüte-Bewegung ermittelt. Aus seinem kamen zur Verwirrung vieler Videoclip-Konsumenten auch noch viele geflochtene Zöpfchen zum Vorschein, in die Schnürsenkel eingewirkt waren. Viele hielten ihn zu Unrecht allein deswegen insgesamt für einen albernen Künstler. Elton John, der musikalisch in dieser Hinsicht auch damals bereits außer Frage stand, wählt mit seinen Hüten, Schuhen und Brillen rein modisch gesehen dagegen bewusst das alberne Fach, was zwar stilistisch nicht auf der Linie des Mainstream liegen mag, aber als souveräne Selbstinszenierung anerkannt werden muss.

Der Hut ist nicht irgendein Bekleidungsstück, man wählt ihn nicht zufällig wie eine Hose oder ein Paar Schuhe. Er ist auch kein notwendiges Utensil wie sie, sondern ein Accessoire, das vor allem dazu dient, einen Unterschied zu machen. Hüte sind Distinktionsmerkmale, und wer es damit übertreibt, gerät eben unter Beschuss. Verweisen sie doch meist auf irgendetwas, das der eigenen Persönlichkeit eine vermeintlich interessante Facette hinzufügen soll - das geheimnisvoll Umschattete eines Geheimagenten andeuten etwa oder das unbezwingbare und gleichsam redliche Naturell eines Cowboys der eigenen Person zuschreiben. Und genau hier lauert die Deutungsfalle, die Übertreibungsgefahr, an der jede zarte Selbstbeschmeichelung sich als knallhartes Posing zu enttarnen droht. Denn was ist ein Cowboy wert, der sich über sein Outfit so viele Gedanken machen muss? Beim Kühehüten in praller Sonne bedarf es fraglos eines Stetsons. In einem abgedunkelten Stadion dagegen erst mal nicht, es sei denn, man ist Garth Brooks oder der "flag-waving redneck" Toby Keith und muss Erwartungen erfüllen.

Einer darf es indessen jederzeit: Bob Dylan, dem Erwartungen von jeher vollkommen egal waren, Hüte aber nie. Am Anfang seiner Karriere, auf seiner Platte "Bob Dylan" trägt er eine Schirmmütze und ein spöttisches Gesicht zur Schau. Es deutet auf eine gewisse Unsicherheit hin, aber auch auf eine darunter liegende Überheblichkeit, die möglicherweise einer tatsächlichen Überlegenheit geschuldet ist. Der Hut, ein auf seinem Kopf unwahrscheinlich gut aussehendes Underdog-Merkmal, lässt ihn gleichzeitig pennälerhaft und politisch der Arbeiterbewegung nahe stehend wirken, ein durchaus zutreffendes Attribut dieses interessanten, jungen Mannes. Später weiß er auf die Qualitäten der Krempe zuzugreifen: Auf zahllosen Fotos ist Bob Dylan mit schwarzem Schlapphut oder Cowboyhut zu sehen. Inzwischen ist es unwahrscheinlich, ein Bob-Dylan-Konzert zu besuchen, bei dem kein krempiger Hut im Spiel ist. Gleichzeitig ist er womöglich der Einzige, der ihn mit einer restlosen Selbstverständlichkeit zu tragen vermag. Ohne sich dabei je die Mühe gemacht zu haben, den Hut etwa zum eigenen Markenzeichen zu machen.

Wie kommt es aber, dass Bob Dylan der einzige Prominente ist, der modisch - egal ob mit zu kurzen Hosen oder einem Sombrero, egal ob mit geckenhaftem Oberlippenbart oder zerzausten Haaren - nie ins Abseits gerät? Warum ist er immun gegen jede Form der Lächerlichmachung, und zwar selbst nach der Ansicht von Menschen, die ihn nicht vergöttern? Vielleicht ist es jenes Distinktionsmerkmal, das ihm zu eigen ist und für das andere erst einen Hut benötigen.

Eine Art innere Hochwohlgeborenheit, durch Arroganz zur Schau getragen und jeden in die Schranken weisend, der seine Unabhängigkeit, auch und gerade von solchen Dingen wie Mode, anzweifelt. Wenn er gut aussieht, dann nicht, weil er die richtigen Sachen trägt, sondern weil er die richtige Haltung hat. Seine Bekleidung wirkt entweder ironisch oder zufällig gewählt, und in beidem ist alles erlaubt - auch der Hut, und sei er auf jedem anderen Kopf noch so übertrieben. Aber bei Bob Dylan gelten andere Regeln, denn eine Überhöhung der eigenen Person ist da im Grunde gar nicht mehr möglich. (Silke Hohmann/Der Standard/rondo/29/10/2004)