"The Film of Her"

Foto: Viennale
... und entwickelt daraus ebenso malerische wie instruktive Miniaturen.


Gelbbraune Flecken ziehen über die Leinwand. Aus der versehrten Bildspur schälen sich kurze Sequenzen eines Stummfilmfragments. Phantomen gleich tauchen Reiter auf. Eine Frau scheint in einem Flammenmeer zu verschwinden. Ein Mann, hoch zu Ross, reicht ihr die Hand. Der fast malerisch anmutende, kurze Film kreist um den ständigen Wechsel von Auflösung und Manifestierung des Bildes. Und er erzählt ein kleines Stück Filmgeschichte:

Lyrisch nitraat hat der niederländische Filmemacher und Kurator Peter Delpeut vor Jahren seine Found-Footage-Hommage an die Bildmächtigkeit des frühen Kinos genannt. Auch Bill Morrisons Arbeiten rufen die lyrischen Qualitäten des alten Nitrofilmmaterials und seiner Verfallserscheinungen in Erinnerung.

Für seinen jüngsten, eingangs erwähnten Kurzfilm Light is Calling (2004) hat er ein Fragment aus dem Film The Bells von James Young aus dem Jahr 1926 verwendet. Morrison, 1965 in Chikago geboren, greift immer wieder auf "gefundenes" Material zurück (siehe Decasia aus dem Jahr 2002). Mitunter sind die Filme, die er daraus montiert, Teile von Bühneninszenierungen – 2001 wurde er dafür mit dem Obie Award ausgezeichnet. Ähnlich wie etwa Morgan Fisher ist Morrison jedoch nicht nur am Reiz der Bilder interessiert: Die technischen Komponenten des filmischen Apparats und ihre Implikationen werden ebenso mitberücksichtigt wie ein filmhistorischer Kontext.

Filmisches Gedächtnis

So ist beispielsweise The Film of Her (1996), eine von Morrisons schönsten Arbeiten, eine vielschichtige Erzählung von der Mannigfaltigkeit des historischen Materials wie von dessen Bergung und Archivierung. Aus dem Off erzählt die Stimme eines Mannes, der im Copyright Department der Library of Congress die so genannte Paperprint Collection entdeckte und vor der Vernichtung bewahrte. Diese Sammlung – aus Urheberrechtsgründen deponierte Papierabzüge von Stummfilmen – stellte nicht zuletzt in den 70er-Jahren eine wesentliche Grundlage für die Neubewertung und Erforschung der nicht mehr erhaltenen Anfänge der Kinematografie dar.

Morrisons Film bewahrt und übermittelt nun seinerseits diese (vergessene) Geschichte von der Wiederentdeckung dieser "Fossilien einer ausgerotteten Spezies". Zugleich transzendiert er jedoch den "Tatsachenbericht" beständig in Richtung eines emotionalen und libidinösen Mehrwerts der Filmbilder: Der ursprüngliche Motor des Archivars Howard Walls für seine Rettungsaktion (für die schließlich ein anderer einen Oscar erhielt) sind dessen Erinnerung an frühe Kinobesuche und die Faszination für die Darstellerin eines frühen Pornos.

Morrison selbst illustriert den (zweistimmigen) Kommentar mit einer Fülle an Bildern, baut assoziative Bildketten – aus frühen wissenschaftlichen Aufnahmen, kleinen frivolen Vignetten, dokumentarischen Einblicken in Räume voller Regale und Filmdosen, in denen abrufbereit unzählige weitere Bilder lagern.

Die Viennale zeigt Light is Calling , The Film of Her und fünf weitere Filme von Bill Morrison zusammen gefasst in einem Programm. Angesichts der visuellen Dichte – und der akustischen Überfrachtung einzelner Arbeiten – ist das fast ein bisschen viel, sehenswert ist es allemal. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23./24.10.2004)