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Martin Kusej

Foto: APA/Franz Neumayr

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Vor die erotische Beglückung hat der Bürgersinn den hanseatischen Fleiß gesetzt: Anna Blomeier und Peter Jordan bei der letzten Klagenfurter Feydeau-Lockerung.

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Klagenfurt - Die groteske Boulevardkomödie traf vor fast 100 Jahren mit höchster Präzision den kulinarischen Geschmack eines bürgerlichen Publikums, das sich selbst im letztlich spießigen Verwirrspiel um Moral und Triebhaftigkeit wiederfand.

Verlogene Familienidylle, sexuelle Ausschweifungsfantasien, eskalierende Lügen bilden das Rezept für ein "Marionettenspiel" des allzu menschlichen Zusammenlebens, das in der Produktion des Thalia Theaters Hamburg die instinktsicheren Beobachtungen Feydeaus in zeitloser Aktualität widerspiegelt: Tabu und Skandal im bürgerlichen Wohnzimmer zeigen dieselbe Oberflächlichkeit wie einst.

Dass Elfriede Jelineks gekonnt platte Übersetzung auf anfänglich ungeahnte Referenz verweisen kann, verleiht dem Stück eine Extraportion Brisanz, zudem die Thematik der zügellosen Sexualität in der Arbeit der Autorin eine immanente Rolle spielt.

Regisseur Martin Kusej schöpft im Spiel der verwirrten Gefühle und Triebe aus dem Vollen, genüsslich lässt er seinem Faible für mehr oder weniger dezente Unterwäsche freien Lauf; nicht ganz so stylish wie im Salzburger Don Giovanni, aber umso expressiver: Aufgewühlt chaotisch, nicht unbedingt sinnlich verklärt, taumeln die Protagonisten zumeist spärlich bekleidet über die in die Zeit der 70er-Jahre transferierte Bühne: ORF-Testbild und Analogplattenspieler lassen grüßen.

Kusej präsentiert sich nicht immer als Meister des feinen Pinselstrichs, mit Donner und Getöse durchpflügt er die Handlung, Anleihen bei den Marx Brothers und bei Mister Bean setzen auf bewährte Komiksujets, deftig und rücksichtslos wird jegliche Sensibilität im Keim erstickt.

Drei Stunden Wirren

Ein fulminantes Ensemble, das unter Aufwendung aller physischen Kräfte über drei Stunden Vollgas gibt, setzt des Regisseurs Intentionen bereitwillig bis zur Selbstaufgabe in Szene, allen voran Norman Hacker in der Doppelrolle des Victor-Emmanuel bzw. Poche und Peter Jordan als Camille sowie Judith Rosmair als Lucienne. Werner Wölbern mimt den cholerisch ausrastenden Südländer Carlos in allen Facetten gängiger Klischees.

Das Bühnenbild von Katja Haß vermittelt die lieblos sterile Atmosphäre eines "neureichen" Wohnzimmers im geglückten Gegensatz zum schmuddelig anrüchigen Ambiente eines Stundenhotels.

Kraftvolles, geradliniges, manchmal klamaukverliebtes Theater ohne Kompromisse. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16./17.10.2004)