Arthur Rubinstein - für Joachim Kaiser "das Beglückendste, was mir in meinem Klavier-Leben begegnete"

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Seit Freitag, 15.10., ist die "Süddeutsche"-CD-Box "Klavier Kaiser" im Handel erhältlich. Der deutsche Musikkritiker Joachim Kaiser versammelt darin schönste Aufnahmen von 14 Pianisten – und stellt diese jeden Freitag auch im STANDARD vor. In Teil 1: Arthur Rubinstein.

Arthur Rubinstein (1887-1982) ist der Orpheus des Klaviers gewesen. Ich habe keines Pianisten Kunst mehr geliebt als die seine – auch wenn Horowitz gewiss manchmal fesselnder, Arrau tiefgründiger, Solomon philosophischer spielen konnten. Gleichwohl waren Rubinsteins Feuer, seine Poesie, sein polnischer Stolz und sein herrlicher "Ton" das Beglückendste, was mir in meinem Klavier-Leben begegnete.

Ganz unangemessen wäre es, diesen Pianisten pathetisch zu heroisieren. Der stand während des Konzertes auch mal vom Flügel auf, um noch eindringlichere Akkordarbeit leisten zu können. Der nannte sich den "letzten großen Falschspieler". Zwar war der junge Arthur, der um 1900 in seiner damaligen Berliner Wahlheimat glänzte, derart talentiert, dass er bereits als 19-Jähriger eine Amerikatournee unternehmen konnte, die nur eben keineswegs zum eindeutigen Erfolg geriet.

Wenn alternde Pianisten bloß wiederholen, was sie können, klingt die Musik mitunter mechanisch. Rubinstein jedoch vermochte noch im neunten Jahrzehnt seines Lebens Kunstweisheit zu aktivieren und zu steigern, ohne alle Erstarrung oder Verfestigung.

1964 konzertierte der 77-jährige Rubinstein im sowjetischen Moskau. Das war für einen polnischen Patrioten, der in Amerika lebte, keine kleine Herausforderung. Man spürt, wie rückhaltlos er damals aufs Ganze ging. Er musizierte in Überform, passioniert, sprühend, leibhaftig. Etwa Chopins Etüde e-moll (Opus 25 Nr. 5) glänzt dank unwiderstehlicher Fülle der Nuancen und sonoren Herrlichkeiten. Die zum Höhepunkt des Konzertes gesteigerte Barcarolle führt im Mittelteil förmlich eine Liebesszene vor. Glückseliges Beinahe-Verstummen.

Dafür überrascht der grandiose Fortissimo-Donnerschlus mit einem ergreifenden Affektumschwung: vom Enthusiastisch-Stürmischen zum Düsteren. Derartige Dramatik hat niemand sonst diesem heiklen Chopin'schen Spätwerk abzugewinnen vermocht.

Der junge Rubinstein in Berlin war zunächst "Brahmine"! Die beiden Brahms'-schen Klavierkonzerte spielte er lebenslang poetisch und souverän, heiter bedauernd, dass kein drittes existiere. Im frühen Konzert d-moll Opus 15 gibt Rubinstein den Anfang schmerzlich meditativ. Bei den wilden Oktaven der Durchführung legt er dann los mit dem vehementen Furor des jungen Brahms.

Als hochbetagter Künstler liebte Rubinstein Mozart über alles. Er hat das späte, namenlos-traurige Rondo a-moll Mozarts (KV 511) einzigartig gespielt: vollendet diskret, vollkommen tief. Die Aufnahme fixiert ein Wunder: So, genau so, klang es wirklich, wenn Arthur Rubinstein am Flügel saß.

Des Künstlers Geheimnis war wohl, alles Ruhige, Langsame eher lind-bewegt, aber auf keinen Fall sentimental-schleppend zu geben. So musste er nie überlangsam oder dicklich artikulieren, um erschütternde Ritardando-Wirkungen zu erzielen. Er hatte gleichsam die Fallhöhe fürs Tief-Ernste, brauchte die Wahrheit seines Gefühls nicht an Forciertes zu verraten.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.10.2004)