Urs Fischers Arbeit aus Holz, Lack, Acryl, Schnur, Matratze und Stoff heißt "Tisch mit". Wie der Titel weitergehen könnte, bleibt jedem selbst überlassen.

Foto: Kunsthalle Wien
Die Kunsthalle Wien zeigt "Skulptur - Prekärer Realismus zwischen Melancholie und Komik". Eine großartige Schau ist das, die das Bastlerherz in uns ebenso rührt, wie sie den Impuls auslöst, selbst gestaltend ins Weltgeschehen einzugreifen.


Wien - Es gibt immer was zu tun! Im Atelier. Weil - wer die Anatomie der Melancholie genau studiert hat, und dann auch noch ehrlich zu sich selbst ist, der weiß: letztendlich ist das Weltganze recht komisch. Und Teile davon sind es erst recht. Und was jedermann noch weiß: Die wahre Freiheit findet sich im Hobbykeller.

Dort, im Jenseits des Alltags, in einer Sphäre des Eigentlichen, findet Erbauung statt. Dort meint "kreativ" noch uneingeschränkt beherzt. Unzählige Modelle haben dort das Licht der Stablampen erblickt, große wie kleine Boote wurden schweißgeboren, Wracks sind glorreich auferstanden, Konstruktionen sonder Zahl haben bewiesen, dass Ikarus einfach nur schlecht war, handwerklich. Und so viele Züge geh'n dort sowieso.

Von den abgebrauchten Fingern und sonstigen Unfällen in Al Bundys "No Ma'am!"-Club wollen wir hier nicht reden. Die sind systemimmanent. Und, damit da jetzt kein falscher Eindruck entsteht: Der Antrieb, dem Weltganzen mit Schere, Klebstoff und Papier ein weiteres Stück Wahrheit abzuringen, ist keinesfalls auf ein Geschlecht beschränkt.

Die Kunsthalle Wien zeigt derzeit einen ganz besonderen Aspekt des stillen Bastelns: Das kritische Heimwerken, das immer wieder einmal zu einer Skulptur führen kann.

Etwa zu jener Urs Fischers. Sie heißt schlicht Tisch mit. Und wie der Titel weitergehen könnte, bleibt jedem selbst überlassen. Für Assoziationen Dritter übernimmt der Schweizer Künstler absolut keine Verantwortung. Man sieht jedenfalls einen Tisch samt einem über eine der Kanten geschnürten Torso.

Der Leibesrest im Fleischrosa der Unterwäsche alter Damen erscheint so grauslich, dass trotz kunstvoller Verschnürung der üppigen Gliedmaßen selbst an randständige sexuelle Praktiken nicht gedacht werden kann. Eher schon lässt das schleimige Zeugs, das von Tisch und Körper tropft, den Schluss zu, dass wir gerade Zeugen dabei sind, wie etwas aus dem Leim geht.

Bei Franz Wests hinlänglich bekannten Passstücken wiederum hält selbiger Leim zusammen, wohinein wir uns ganz gelassen fügen sollen. Ganz ohne Leim kommen Erwin Wurms ebenfalls hinlänglich bekannte Minutenskulpturen aus. Wie bei West muss man tatkräftig dabei mitmachen, die Skulptur fertig zu stellen. Also etwa so ruhig auf dem Bauch liegen, dass sich die zwei Melonen am Rücken nicht selbstständig machen, oder man muss den Niesreiz unterdrücken, weil sonst die Champignons aus der Nase katapultiert würden, und somit die ganze Skulptur sofort kaputt wäre.

Unkaputtbar sind Thomas Schüttes Frauen. Aus Eisen und dementsprechend rostig die eine, aus noch weit gehend patinaloser Bronze die andere, liegen oder hocken sie auf massiven Tischen und sind nicht mehr und nicht weniger als schön anzuschauen. Was man von Peter Senoners Aliens in Holz oder Edelstahl nicht behaupten kann: Die sind einer ganz abgeschmackten Vorstellung von Utopia entsprungen, und machen mit bombastischen Titeln wie LEM & Pseudoplatanus auch noch auf oberwichtig ohne irgendetwas Erkennbares wozu auch immer beizutragen.

Sarah Lucas aus dem Saatchi-Kreis zitiert ein improvisiertes Denkmal für einen gefallenen Soldaten. Im Original funktioniert das so: Man stelle die Kampfstiefel in entspannter Haltung nebeneinander, ersetze mit dem aufgestellten Gewehr den toten Körper, und bekröne das Ganze mit dem, was vom Krieger noch übrig blieb, dem Helm. In Sarah Lucas Abstraktion des Ensembles zum Andenken bleiben nur die in Beton gegossenen Stiefel über. Dazwischen weist eine erigierte Neonröhre als ewiges Licht den potenziellen Hinterbliebenen den Weg gen Himmel.

Der mag ja vielleicht bevölkert sein von jenen geschlechtslosen und dennoch Pärchen bildenden Wesen, wie Mark Manders sie modelliert. Wenn dem aber so ist, muss man sich den Himmel als Fabrik für Skurriles aus Knochen und Tierresten vorstellen. Und gleichzeitig als Abbild seines melancholischen Schöpfers. Figuren wie Meublage sind Fragmente aus Manders allumfassender Arbeit Self Portrait as a Building . Wofür ihm zweifelsohne der goldene Hammer für das mutigste Modellbauvorhaben der Schau zusteht. Freilich nur, wenn man Peter Fischli & David Weiss' Serie Stiller Nachmittag/Equilibres als Klassiker nicht mit in die Wertung nimmt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.10.2004)