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Elfriede Jelinek am Tag nach der Nobelpreis- Verkündigung über ehrende Worte aus allerhöchsten Regierungskreisen: "Man muss auch Beifall von der 'falschen' Seite akzeptieren."
Foto: Reuters/Leonhard Foeger
"Ich will mich weiter zurückziehen", erklärte Elfriede Jelinek am Donnerstag als frisch gekürte Nobelpreisträgerin. Dennoch gewährte die österreichische Dichterin Claus Philipp und Ronald Pohl ein Interview und erzählte etwa über eine heimische Gesellschaft von Untoten.


STANDARD: Der Literaturnobelpreis, Preise überhaupt - was ist das für eine Kategorie von "Wertschätzung"?

Elfriede Jelinek: Natürlich freut man sich über so was, und man fühlt sich sehr geehrt. Ich habe das Gefühl, das nicht zu verdienen, etliche andre hätten es eher verdient. Aber es war nicht meine Entscheidung. Es gibt ja immer andere, die etwas eher verdienen würden als man selber. Gleichzeitig ist es für einen so zurückgezogen lebenden Menschen wie mich eine fast zu große Belastung, zumindest im Moment. Preise, die man für seine Arbeit bekommt, über die freut man sich. Aber Orden oder Ehrenzeichen oder so was würde ich nicht annehmen.

STANDARD: Wie kommentieren Sie die ehrenden Worte auch vonseiten des Bundeskanzlers? Muss man dergleichen duldend hinnehmen?

Jelinek: Ja, wir leben in einer zivilisierten Gesellschaft, also muss man das. Wenn man dagegen ist, dass sich feindliche Nationen gegenseitig an die Gurgel gehen, muss man auch Beifall von der "falschen" Seite akzeptieren.

STANDARD: Wie soll die internationale Aufmerksamkeit, die Ihr Preis weckt, der heimischen Literatur nützen?

Jelinek: Ich hoffe für meine Kolleginnen und Kollegen, dass ihre Arbeiten vielleicht, zumindest vorübergehend, international etwas mehr Aufmerksamkeit bekommen. Die österreichische Literatur ist ja sehr sprachzentriert, zumindest die der Wiener Gruppe, aus deren Tradition ja auch ich komme, aber auch Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, viele andre, und eine solche Literatur ist sehr schwer zu übersetzen. Daher ist es auch schwer, sie international bekannt zu machen.

STANDARD: Sie haben nach der Nachricht in etwa formuliert: Wahre Literatur dürfe nicht "berühmt" sein. Könnten Sie das genauer ausführen?

Jelinek: Literatur darf alles sein. Nur die LiteratInnen dürfen nicht berühmt werden. Das ist ein Fluch. Man muss aus dem Verborgenen heraus beobachten und dann zustoßen wie eine Sandviper.

STANDARD: Ab wann beginnt zum Beispiel in Österreich das Vereinnahmtwerden (siehe Austrokoffer)?

Jelinek: Das ist ja ein bekanntes Phänomen, dass man diejenigen, die einen kritisieren, mundtot machen will, indem man sie in der Umarmung erdrückt. Ich hätte beim Austrokoffer durchaus mitgemacht, also in einer ganz normalen Anthologie österreichischer Literatur, immer, aber ich war nicht bereit, das zum Ruhm des derzeitigen offiziellen Österreich, sozusagen als schmückendes Beiwerk, zu tun, gesponsert und beworben von der Agentur des gesunden Volksempfindens, der Krone.

STANDARD: Sie erwähnten, dass Peter Handke den Literaturnobelpreis "mindestens so sehr wie ich" verdient gehabt hätte. Seine Poetik erscheint der Ihren auf den ersten Blick diametral entgegengesetzt. Können Sie die Differenz erläutern?

Jelinek: Ja, wir sind in gewisser Weise in unserem Herangehen an unseren Gegenstand Antipoden. Handke in seiner unglaublich präzisen Beobachtungswut, ich, indem ich jeweils schon alles vorher weiß. Ich denke mir manchmal, dass er in seinem verzweifelten Wunsch nach dem Positiven meinem ebenso verzweifelten Wühlen im Negativen nicht unähnlich ist. Das sind vielleicht nur zwei Seiten ein und derselben Medaille.

STANDARD: Irgendwann einmal scheinen Sie - nicht nur im textuellen Bereich - die Strategie gewählt zu haben, wenn schon nicht zurück zu treten, so doch alles durch sich durchgehen zu lassen, fast als wären Sie ein Gespenst ...

Jelinek: Ja, das ist schön gesagt. Die Gothic Tale, die Gespenstergeschichte, ist mein eigentliches Metier. Das Herunterreißen von Oberflächen, weil man auf geradezu sadistische Weise wissen will, was drunter ist. Aber das wiederum, indem man Oberflächenphänomene genau untersucht. Man ist sozusagen an der Oberfläche und gleichzeitig darunter. Und alle Bewegung geht eben durch einen hindurch. Man ist kein Hindernis, kein Widerstand, obwohl man doch so gern einer sein möchte.

Wie die österreichische Gesellschaft ja auch eine der Untoten ist. Die Geschichte ist tot und begraben, und gleichzeitig ist sie das Lebendigste. Wir kommen ja nicht los von ihr, je mehr sie begraben sein soll. Das hat ja auch der Hans Lebert nach dem Krieg als Erster so wunderbar in der Wolfshaut beschrieben.

STANDARD: Wie manifestiert sich dann die Freude über ein "Gelingen"?

Jelinek: Diese Freude ist eine wirklich handwerkliche. Wie ein Schuster, der einen schönen Schuh gemacht hat. Man kann sagen: Besser kann ich's nicht. Ein andrer vielleicht, aber ich kann's nicht besser.

STANDARD: Sie haben sich mit Blick auf Ihre Stücke vor allem über Inszenierungen erfreut gezeigt, die gegenüber Ihren Texten eine Art von "Widerstand" entwickelten. Was gibt für ein solches "Glücken" den Ausschlag? Der Eigensinn eines Einar Schleef, eines Christoph Schlingensief? Würden Sie Ihre Theatertexte tatsächlich als "Material" betrachten?

Jelinek: Es sind einige Regisseure (und einer von ihnen, Schleef, ist schon tot), mit denen man den Kampf beginnen kann. Die man das Stück erst schreiben lassen kann. Man liefert ihnen das Textmaterial aus, und sie machen das Stück draus. Das war ja auch bei Bambiland mit Schlingensief so faszinierend. Es war kaum noch Text von mir übrig, und doch war das Stück vollkommen genau und präzise inszeniert, trotz aller Improvisation, wahrscheinlich sogar wegen ihr.

Es entsteht zwischen dem ästhetischen Wollen des Regisseurs und dem Text, oder wie immer man es nennt, eine Art Schnittstelle, an der das Stück dann erst beginnt. Theater ist nicht die Arbeit eines Dramatikers, einer Dramatikerin, die ihre Arbeiten dann bebildern lassen.

STANDARD: Ihre hochartifiziellen Sprachverfahren "verlegen" die Geltung politischen Sprechens in ein Feld, das der kurzatmigen, gehässigen, tagespolitischen Artikulation verschlossen bleiben muss. Rühren viele Einwände gegen Ihre Arbeit nicht auch daher, dass sich die "Angegriffenen" auf ihrem vermeintlich "eigenen" Terrain gegen Ihre Vorhaltungen zur Wehr setzen wollen? Mit zumeist unreflektierten, untauglichen Mitteln?

Jelinek: Ich glaube, dass das oft gar nicht gesehen wird, die Spracharbeit, dieses kompositorische Verfahren, das ich auf meinen Gegenstand anwende.

Das kann (Olga Neuwirth bestätigt mir das auch) bei unmusikalischen Menschen buchstäblich auf taube Ohren treffen. Wer sich nie mit Musik beschäftigt hat, kann mit meiner Arbeit sicher nichts anfangen. Der holt sich irgendwelche noch blutenden Fetzen von Tagesaktualität (die ich halt auch verwende, weil man das Pathos nur riskieren kann, wenn man auch die äußerste Trivialität, den Kalauer, die Schlagzeile riskiert, das muss sich gegenseitig ausbalancieren, auch eine musikalische Technik!) heraus und trampelt drauf herum. Das hat aber mit meiner Arbeit im Grunde nichts zu tun.

STANDARD: Wie würden Sie das "Fehlen" eines weiblichen Subjekts - ein Thema, das in Ihrer Arbeit nicht erst seit Ihrem erfolgreichen Prosatext "Lust" virulent ist - in der Literatur heute artikulieren? Jelinek : Da das Subjekt ja fehlt, kann es sich nicht artikulieren. Es hat keine Sprache. Ich habe versucht, eine weibliche pornographische Sprache zu konstituieren, habe aber gesehen, dass das nicht möglich ist, weil der Blick auf das Obszöne männlich ist. Das Subjekt der Lust ist der Mann. Wenn es die Frau ist, hat sie keine (noch keine) Sprache für ihre Lust. Daraus hat man dann kolportiert, dass ich an diesem Thema gescheitert wäre und es selber zugegeben hätte. Dabei wollte ich nur sagen, dass es diese Sprache nicht geben kann, dass ich sie also gar nicht "finden" konnte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9./10.10.2004)