Danièle Huillet,
Jean-Marie Straub

Foto: Viennale

John Ford

Foto: Viennale
"Die Früchte des Zorns und der Zärtlichkeit" nennt sich, als wesentliche Programmschiene der diesjährigen Viennale, eine Werkschau von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub im Filmmuseum.


Eine Hauswand, auf der ein riesiges Graffiti eher flüstert als ruft: "Wo liegt euer Lächeln begraben?" Später: Ein Kind, das am Ende einer Adaption von Arnold Schönbergs Oper Von heute auf morgen (1996) fragt: "Was sind moderne Menschen?"

Antigone (1991) in einem antiken Theater in Sizilien. Der Tod des Empedokles (1986) am Fuße des Ätna. "O himmlisch Licht." Drei Jahre vorher: Franz Kafkas Held Karl Rossmann in Klassenverhältnisse (1983) – dazu die deutsche Filmkritikerin Frieda Grafe, Kafka zitierend: "Kein Wort, das ich schreibe, passt zum anderen, ich höre, wie sich die Konsonanten aneinander reiben, und die Vokale singen dazu wie Ausstellungsneger."

Oder – in Machorka-Muff (1962, nach Heinrich Bölls Hauptstädtischem Journal): Eine junge Frau der bundesdeutschen Oberschicht der frühen 60er, die (am Morgen danach?) schwärmerisch verkündet: "So fühle ich mich immer, wenn ich Braut bin!" Schon früher sagt ihr Gemahl Erich von Machorka-Muff: "Immerhin verbinden uns Ziffern symbolisch: Wie sie siebenmal geschieden ist, bin ich siebenmal verwundet."

Magnetenkino

Dies wären nur ein paar Beispiele für Szenen, grotesk, schwebend und kantig zugleich, erschreckend, abweisend und nichtsdestotrotz zur Reflexion einladend, durchaus auch von beträchtlichem Witz – Momente, durch die einem das Kino von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub (kurz: Straub/Huillet) lebenslänglich präsent und gewissermaßen Magnet für Gefühle und Gedanken bleibt. Wie ein Regal karg gestalteter Bücher voll präziser Essays und Notate, auf die man wie auf verlässliche Berater und Freunde zurückgreifen kann: Gute Wächter, deren Erfahrungsschatz zur Verfügung steht, wenn man seiner bedarf.

Im Regal über dem Schreibtisch des Filmkritikers steht gegenwärtig etwa, sehr regelmäßig "frequentiert", der wunderbare Katalog der Viennale zur Werkschau Straub/ Huillet – Die Früchte des Zorns und der Zärtlichkeit. Darin: Texte von Peter Handke, Karlheinz Stockhausen ("Herr Straub..., Sie wissen wohl selbst, dass Sie den schweren Weg gehen") oder ein Gespräch mit dem Dirigenten Michael Gielen: "Auf Spekulationen über die Ästhetik lasse ich mich nicht ein, da bin ich nicht gebildet, nicht kenntnisreich genug, um etwas Sinnvolles zu sagen."

Oder, gleich daneben (und neben Richard Reichenspergers Ausführungen über eine deutsche Nachkriegszeit, in der die Sprache, so Paul Celan, "hindurch gehen musste durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten"): Frieda Grafe, Aus dem Off – zum Kino in den Sechzigern (erschienen bei Brinkmann&Bose). Darin schreibt sie, 1964, anlässlich von Straub/Huillets zweiter Böll-Adaption Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht: "Straub, der Franzose, wollte einen Film über das Deutschland von heute machen. Nicht künstlerische Impotenz ließ ihn zum Roman Bölls (Billard um halbzehn) greifen, sondern die Überzeugung, dass die Lebensweise eines Landes sich einsichtiger noch als in seinem Städtebau und den Menschen auf seinen Straßen darstellt in seinen Ideen und Erfindungen. (...) Straub behandelt den Böllroman wie ein Dokument." Und: Er versuche, "den Moment der Kommunikation mit dem Buch darzustellen".

Es liegt auf der Hand (und dies gilt denn auch für das weitere Werk von Straub/ Huillet bis herauf zu Une Visite au Louvre), dass diese Auseinandersetzung mit Kommunikation in konkreter Arbeit an der Sprache geschieht, auf textueller Ebene wie auch filmisch, in Schnitt und Einstellung. Welche Auslassungen stehen zum Beispiel für die bereits oben erwähnten "Antwortlosigkeiten", welche Bilder und Töne hält man anderen von oben verordneten Antwortlosigkeiten entgegen?

Bezeichnend folgendes Zitat von Jean-Marie Straub, in diesem Fall über die Arbeit an Kafkas Amerika: "Ich glaube, was wir suchen, ist einfach ein Rückgrat, ein Gerippe. Es gibt keine Texte, die man einfach so aufsagen kann, mit seiner Seele. Es muss alles durch den Körper, und der Text selbst hat keine Seele, wenn er kein Rückgrat und kein Gerippe hat. Das hat er nur, wenn man ihn aufbaut." In diesem Sinne waren und sind Straub/Huillet-Filme Aufbauwunder der anderen Art, vergleichbar mit Prosa von Ilse Aichinger.

Herrliche Zumutung

Es ist ein Bestandteil der dämonischen Unverhältnismäßigkeiten des Kinos, dass Filme wie jene von Straub/Huillet leider nicht unbedingt wie Bücher jederzeit verfügbar sind. Sie müssen im Kino gesehen werden, aber weder gibt es in Programmkinos oder Museen die regelmäßigen Gelegenheiten zur "Lektüre". Weiters erfordern sie, wie auch vergleichbare Essays, eine gewisse Ausschließlichkeit der Konzentration – und insofern ist auch die Viennale-Retrospektive – mitten hinein ins Getümmel eines solchen Festivals – eine Zumutung.

Aber eine produktive. Vielleicht nähert man sich den Früchten des Zorns und der Zärtlichkeit am besten über die Fragestellung: An welchen Rändern im Programm ergäbe sich ein "Dialog" mit Straub/ Huillet? Schon innerhalb der Retro tut sich diese Option auf – die Filmemacher selbst stellen ihrem Werk eine kleine Auswahl aus dem Schaffen des großen US-Regisseurs John Ford bei.

Und auch an anderen "Positionen" der diesjährigen Viennale ließe sich ein Diskurs über die "Achtsamkeit der Straubs" (Jacques Bontemps) und Schnittstellen des Kinos bzw. im Kino trefflich fortsetzen. Etwa in einer Auseinandersetzung mit Jean-Luc Godards Notre musique oder bei den empfehlenswerten Lectures und Filmen des Filmemachers und Theoretikers Jean-Pierre Gorin. Wenn man das Programm der Viennale studiert, denkt man: Gute und historisch bewusste Auswahl muss nicht notgedrungen in die derzeit so beliebten Kanondebatten münden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.10.2004)