Almodóvar und Gael García Bernal am Set von "La Mala Educación"

Foto: Tobis
"Licht, Töne, Stoffe, Texturen – nur daraus große Gefühle zu generieren ..." Eine Begegnung mit Meisterregisseur Pedro Almodóvar, dem dies mit "La Mala Educación" erneut virtuos gelingt.


"Sorry, ich bin ein wenig dizzy; vergangene Nacht habe ich nicht sehr gut geschlafen. Sagen Sie, ist es hier nicht ein bisschen kühl?"

Cannes im Mai dieses Jahres. Im Park eines kleinen Hotels sitzt Pedro Almodóvar einer Gruppe internationaler Journalisten gegenüber. Fröstelnd verschränkt er die Arme über einem weiten, schwarzen Seidenhemd. Und scheint sich von Beginn an allzu große Erwartungen zu verbieten. Wieder hat er einen Film gemacht, ein, zwei andere sind bereits in Vorbereitung, in Argentinien hat er sich gerade als Koproduzent beteiligt. Am liebsten, scheint es, würde der Künstler sofort in sein Atelier zurückkehren. Oder in ein Kino eilen: "Ich würde gerne viel mehr Filme sehen."

La Mala Educación (Schlechte Erziehung) lief in Cannes "nur" als Eröffnungsfilm, "außer Konkurrenz" und eigentlich unter falschen Vorankündigungen: Über eine skandalumwitterte Aufarbeitung mit dem spanischen Klerus und Misshandlungen in kirchlichen Internaten murrte man im Geburtsland des Regisseurs, in Spanien. Pedro Almodóvar scheint solche Schlagzeilen bevorzugt deshalb zu genießen, weil sie ihn von anderer PR-Arbeit befreien. "In Wahrheit ist dies doch nichts anderes als ein Versuch, einen Film noir in Farbe zu drehen, und zwar eine Liebesgeschichte als Film noir. Und wenn ich dann höre, dass ich hier möglicherweise autobiografisch ... ach ja."

Tatsächlich: Zuallererst ist La Mala Educación eine Geschichte über eine Geschichte, die nicht in Gang kommen will – und sich dann in andere Fiktionen "rettet". Einem Drehbuchautor (Fele Martínez) fällt kein neues Script ein; da besucht ihn ein Unbekannter (Gael García Bernal), behauptet, er sei ein Freund aus Kindheitstagen – und legt eine Story über eine gemeinsame Vergangenheit in einer Klosterschule vor.

Wer missbraucht wen?

Sind es dann "alte Wunden" die hier aufbrechen, oder ist es nicht viel eher ein "neuer Film im Film", bei dem vor allem ein Künstler, besessen von "Passion" seine Helden und Vorlagen "missbraucht"? Es wäre fies, mehr von La Mala Educación zu verraten, schlicht, weil viele Auflösungen von Suspense-Momenten selbst wieder ins Leere führen.

"Aber das habe ich gern", sagt Almodóvar. "Sprünge ins Nichts, oder eben so einen Start aus dem Nichts – genau wie jenes Nichts, aus dem heraus ich selbst zu schreiben beginne, bis die Geister quasi von selbst zu reden beginnen, das Kommando übernehmen. Und rundherum vielleicht schon strahlende Primärfarben, erste seltsame Assoziationen mit bekannten Filmen – und vielleicht auch seltsamen Erinnerungsmomenten."

Seltsam? "Ja", scheint sich Almodóvar langsam zu erwärmen: "Priester, die in ihrer Kutte Fußball spielen zum Beispiel. Oder: Kindergesang, zur Gitarre, an einem sonnigen Tag am Fluss. Licht, Töne, Stoffe, Texturen – nur daraus große Gefühle zu generieren, oder auch Verunsicherungen: Ich liebe das. Daran wachse ich als Filmemacher. Irgendwann sollte ich vielleicht überhaupt einen Stummfilm drehen."

Wozu noch Text ...

Tatsächlich scheinen schon diesmal die Dialoge von La Mala Educación oft auf den Gehalt knapper Text-Inserts aus dem frühen Kino reduziert. Dazwischen winden sich, wie in alten Stummfilmmelodramen die Körper. Nicht selten – und geradezu obligatorisch für Almodóvars Kino – sind es die Körper von Transvestiten.

Später wird Almodóvar denn auch über seine Regiehelden Luis Bunuel und Alfred Hitchcock zu erzählen beginnen (zu Letzterem: "vor allem die Soundtracks von Bernard Herrmann in ihren minimalistischen Schleifen haben uns sehr inspiriert"), und vor allem über Douglas Sirk: "Ich weiß, die Liebe zu seinen Melodramen teile ich mit Rainer Werner Fassbinder; und gestern hat mich schon jemand gefragt, ob ich mir nicht einmal ein Fassbinder-Remake reizen könnte."

Aber nein, Almodóvar – "Erinnerungen sind wie Farben" – arbeitet eher wie ein Maler. Und auch wenn er immer wieder Stars mitkreiert hat wie zum Beispiel Antonio Banderas oder zuletzt eben Gael García Bernal, so bevorzugt er es, "mit Schauspielern und Gesichtern zu arbeiten, zu denen es noch keine Vorerwartungen gibt. Ja, es gibt Pläne, wieder einmal einen Film mit Banderas zu drehen, aber er bringt dann gewissermaßen schon seine eigene 'Geschichte' mit, was im Umgang mit Erwartungshaltungen auch reizvoll sein kann – insgesamt ist mir das Herumtasten in einem dunklen, bestenfalls halb erleuchteten Raum aber lieber."

Ein Assistent zeigt auf die Uhr; der Meister erhebt sich eher abrupt: Nichts wie weiter. Auch mit Wettbewerben – siehe Cannes – hält er sich kaum noch auf. Schon der letzte Film Sprich mit ihr bedurfte keiner Festivalpromotion mehr, um international äußerst erfolgreich zu laufen. Vielleicht hätte Pedro Almodóvar noch eines sagen sollen: Seine Filme brauchen keine Ankündigung, man sollte in sie einfach "hineinfallen". (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.10.2004)