Wenn der Mund das Maul aufreißt: Bernd Jeschek gibt Gert Jonkes "Redner rund um die Uhr".

Foto: theater 04
Wien - In Gert Jonkes Redner rund um die Uhr steht das Gesprochene gegen das Gedachte und (noch nicht) Geschriebene auf. Ein neuer Mund bemächtigt sich der Sprechkompetenz seines Besitzers. Dem vorsprachlichen, ungeordneten Zustand fällt das frisch-fröhliche Plappermaul, das intrigant-vorlaute Werkzeug in den Rücken und liefert ihn ans schnell Dahergesagte aus. Dieser Mund stellt Behauptungen auf wie unnötige Straßenbahnhaltestellen, er treibt seinen Träger phrasendreschend an den Stammtisch, unterwirft ihn seinem unglaubwürdigen Geschwätz und diktiert ihm die geschmacklosesten Reisebeschreibungen nach einem genialen Wüsten-Trip.

"Halt den Mund, du Hund, brüllt jetzt mein Mund." So schwallend kommt es ihm über die Lippen, dass in der ersten Bühnenversion dieses Jonke-Textes der Darsteller Bernd Jeschek sich manches Mal beide Hände vor die Lippen pressen muss.

Kaum mehr an Figurenentwurf und Szene wird diese Uraufführung durch Michael Gampe (im Semper-Depot) als performativen Sprechakt auszuweisen wissen. Jeschek taucht - wie das Denken des großen Hineinhorchers Jonke - aus einer großen Innenwelt heraus, hier: aus dem ehemaligen Kulissen- und Dekorationsdepot der Hoftheater. Der Prospekthof ist mehr als alles andere in dieser Produktion (der freien Gruppe theater 04) auf ganzer Strecke ideal.

Bernd Jeschek ist gut, manchmal sehr gut, er neigt aber dazu, diesen in Ehren Ernst Jandls mit "Sprechsonate" untertitelten Text akademisch-vorbildlich (auch tonal) auf Pointe und Linie zu bringen, wohingegen hier fünf Viertelstunden lang insgeheim Regelbrüche vollzogen werden. Hier werden Gitterstäbe des Sprech- und Schreibgefängnisses gedehnt, in dem einem Subjekt die fadenscheinigen Gesetze, Bevormundungen und Fremdbestimmungen in immer wieder neuen Anläufen selbst vor Augen geführt werden. - Zu brav für Jonkes wildes Denken, das die Spur aus dem Hinterhalt aufnimmt und verfolgt.

Nicht das erste Mal waren die Wiener Festwochen oder das Burgtheater zu unentschlossen, um sich eine Jonke-Uraufführung zu sichern. Die heftig akklamierte Aufführung im Semper-Depot gereicht zu einem kleinen Erfolg. Wer die spärlichen Vorstellungstermine in Wien oder später in Graz nicht wahrnehmen kann, sei auf die dieser Tage bei Preiser Records erscheinende CD verwiesen bzw. auf den "Theaterkanal" 3sat, der die Aufführung aufzeichnete. (DER STANDARD, Printausgabe vom 27.9.2004)