Das berüchtigte Performancekollektiv She She Pop fragt, "Warum tanzt ihr nicht?" - und rührt selbst kein Bein.

Foto: Malzkorn
Derzeit verbinden "Gefühlsathleten" im Tanzquartier Wien Emotion mit Intellekt. Zweimal wird dabei der Gehsteig zur Bühne: Kinkaleri aus Italien zeigen Ergebnisse öffentlich inszenierten Dahinscheidens und die Gruppe Ligna wirkt hinter dem Schaufensterglas.


Wien - Das Tanzquartier Wien (TQW) setzt zu Beginn der neuen Spielzeit in seiner rund zweiwöchigen Performancereihe Gefühlsathletik ganz auf Gemütsbewegungen. "VW setzt auf Allrad mit Emotion", war vor drei Wochen auf dem Titelblatt dieser Zeitung zu lesen. Dass der sinnliche Konzern auch auf Ganzkörperemotion setzt, beweist er daheim in Wolfsburg mit seinem alljährlichen Tanzfestival movimentos. Tanz springt an, Allrad fährt ein. Ergreifend schön lässt sich Kunst als Schrittmacher von Käuferherzen verpacken. Weil Volkswagen dem Volk so gewogen ist, hat die österreichisch-französische Performancegruppe Superamas auch einen VW-Werbespot in eines ihrer Stücke eingebaut.

Das TQW will (leider ohne Superamas) zeigen, wie "Emotionen in zeitgenössischem Tanz und Performance" abgehandelt werden. VW hofft seine Handelsbilanz mit Werbegags wie movimentos zu verbessern. Das ist die Differenz im diskursiven Ansatz, und deswegen gibt es im Rahmen der "Gefühlsathletik" auch keine Sentimentarabesken zu sehen. Abgesehen vielleicht von der Wiener Performancekünstlerin Barbara Kraus in ihrem Rührstück Yes Sir, I can do it. Zur Illustration dieser koketten Behauptung wälzt sie sich als gerupfter sterbender Schwan in narzisstischer Erschütterung auf dem traumatisierenden Boden der nicht ganz neuen Tatsache, dass das Leben endlich ist.

Die italienische Gruppe Kinkaleri nimmt das Hinscheiden etwas humorvoller. Für ihr Performance-Installationsprojekt West wurden Passanten gebeten, auf offener Straße vor der Kamera einzuknicken, niederzubrechen, Sterben zu spielen. Das so in ganz Europa entstandene Dokumentationsmaterial wurde, nach Städten geordnet, auf Monitoren vorgeführt und mit Liveübertragungen von Umfallern in einem Hof des Museumsquartiers gemischt.


Emotion und Intellekt

Nur noch als schwarze Abstraktion der Vorhänge in der Blackbox ist der Tod des Mädchens in Raimund Hoghes Version des Frühlingsopferthemas von Strawinsky, Sacre - The Rite of Spring vorhanden. Der choreografische Origamikünstler ist ein Meister des Ineinanderfaltens von Emotion und Intellekt.

Über Gefühle, die aus der Körperbewegung entstehen, recherchieren die Wiener Choreografin Milli Bitterli und die Tänzerin Ingrid Reisetbauer - zusammen mit dem Künstler Jack Hauser in Was bleibt von mir?. In dem Work-in-progress entwickelt sich eine Komposition aus gespenstischer Gastfreundschaft und dem Unheimlichen in bewohnten und menschenleeren Eigenheimen. Verkrampft wirkte dagegen ein sinistres Spiel mit Herzensangelegenheiten in dem interaktiven Stück Warum tanzt ihr nicht? des Kollektivs "She She Pop". Der italienische Straßenkünstler Marcel wiederum eroberte mit seinen Fingerpuppentänzen das Publikum.


Kärntnerstraßenballett

Die deutsche Gruppe Ligna brachte ihre Besucher dazu, sich in die Warenwelt der Kärntnerstraße einzufühlen. In dem Radioballett Wir brechen das Glas wurde die Straße zur Bühne, auf der das Publikum, das über UKW-Empfänger choreografische Anweisungen erhielt, gegen den Passantenstrom tanzte. Das Emotionale ist ein Tauschwert, auch in der konzeptuellen Performance. Das beweisen die Ge fühlsathleten des TQW auf unterschiedlich mitreißende Art. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.9.2004)