Ferenc Gyurcsány, designierter sozialistischer Ministerpräsident Ungarns, hätte bis zu seiner Amtseinführung, die Anfang Oktober stattfinden soll, ruhig schweigen können, denn schließlich war er nicht im Wahlkampf. Aber er redete und brachte sich ohne Not als hartgesottener Macho ins Gespräch. Er redete ohne Unterlass und bewies dabei vor allem: Er ist unerfahren im Umgang mit der großen Öffentlichkeit. Und: Die Zeit der wohlerzogenen Grandseigneurs an der Spitze der ungarischen Sozialisten ist endgültig vorbei.

Mit einem unsäglichen Vergleich glaubte Gyurcsány erklären zu müssen, warum die Ungarn ein Recht auf ein besseres Leben haben: "Wer eine Einzimmerwohnung hat, will zwei Zimmer, wer zwei hat, will drei, wer drei hat, will ein Einfamilienhaus. Und wer eine alternde Ehefrau hat, hat das Recht auf eine Jüngere", sagte der 43-Jährige im Fernsehen. Gyurcsány sprach mit der Logik dessen, der sich seit frühester Kindheit aus ärmstem Milieu zu einem der reichsten Unternehmer Ungarns hochgearbeitet hat. So einer will ständig ein Zimmer mehr haben. Auch die Frau wird zum Prestigeobjekt.

Zwölf ungarische Frauenverbände protestierten. Zwangsläufig zog Gyurcsánys Ausrutscher auch Kommentare der spießigen Art nach sich, so etwa vom Frauenverband der rechtskonservativen Oppositionspartei Fidesz, wo es hieß, Gyurcsány sei moralisch "labil", da bereits zum dritten Mal verheiratet. Gyurcsány entschuldigte sich und räumte gleich auch noch, wie er sagte, "eine weitere Dummheit" ein. Im Parlament hatte er nämlich rundheraus behauptet, in Ungarn herrsche "großer Wohlstand".

Vieles wirkt erfrischend und unstaatsmännisch an dem jugendlich-sportlichen Senkrechtstarter und Neueinsteiger in die Politik, der allein durch persönlichen Charme und Lobby-Einsatz die mächtigen, aber personell schwachen Sozialisten in nur drei Tagen dazu brachte, ihm das Vertrauen zu schenken. Unbekümmert und populistisch lässt er Sätze fallen wie: "Warum, zum Teufel, brauchen wir eigentlich Einsparungen?"

Genauso so locker bringt er aber auch recht Bedenkliches über die Lippen und nährt Zweifel an seinem Demokratieverständnis. Die Bürger, so meinte Gyurcsány jüngst, interessiere es gar nicht, "wofür der Staat ihre Steuergelder ausgibt". Von komplizierten Haushaltsdebatten wollten die Ungarn nichts wissen, sondern nur, ob es mehr Inflation gebe und ob sie ihren Arbeitsplatz behalten würden.

Gyurcsánys größtes Problem ist aber seine Vorliebe für Vergleiche. "Es ist fast dasselbe, eine Institution, einen Fernsehsender, ein Unternehmen oder eine Regierung zu führen", meinte er in der politischen Sonntagabend-Talkshow des ungarischen Fernsehens.

Daran stimmt eben das Wesentliche nicht: Bei einem Politiker wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, und zwar zu Recht. Vergleiche unterstützen das Denken, aber eben nur solange sie das bleiben, was sie sind: eine Methode der Erkenntnis durch Nebeneinanderstellen von grundverschiedenen Dingen.

Noch kann man Gyurcsány aber nicht richtig böse sein, denn er hat einen sympathischen Fehler: Er lispelt. Und zwar vor allem dann, wenn er nervös wird, wie zuletzt, als er einem schneidend fragenden Interviewer live erklären musste, wie er sich das vorstellt, die Banken zusätzlich zu besteuern.

Jetzt können Gyurcsánys Nöte mit den Zischlauten seine Rettung werden, denn sie verleihen allem, was er sagt, scheinbare Unschuld. Dennoch könnten es sich einige Parteifreundinnen noch überlegen, ob sie für seine Amtsübernahme votieren. Und im Parlament, wo darüber demnächst abgestimmt wird, ist die Mehrheit der ungarischen Regierungskoalition sehr knapp. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.9.2004)