Öhlinger: "Man kann die Selbstverwaltung nicht total einem Beschlussverfahren unterwerfen, in dem sie letztlich immer unterliegen würde."

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Wien - "Das derzeitige Konzept für die Gesundheitsagenturen ist verfassungsrechtlich mehr als wackelig." Verfassungsjurist Theo Öhlinger warnt im Standard-Gespräch davor, die selbst verwalteten Krankenkassen und deren Dachorganisation, den Hauptverband der Sozialversicherungsträger, nicht entsprechend einzubinden. "Die Stimmengewichtung muss in Korrelation zur Mittelaufbringung stehen. Man wird die Sozialversicherung nicht einfach ausschalten können." Ein Einwand, den auch IHS-Gesundheitsökonomin Maria M. Hofmarcher im Standard vom Dienstag geäußert hat.

Im Entwurf für das Gesundheitsagenturengesetz steht an den heiklen Stellen noch "xxx", aber die kolportierten Mehrheitsverhältnisse sollen so aussehen: 20 Prozent für den Bund und 40 für die Länder, deren Finanzierungsanteil seit Jahren kleiner wird (siehe Grafik). Blieben 40 Prozent für die Sozialversicherung, die aber über 80 Prozent der öffentlichen und fast die Hälfte der gesamten Gesundheitsausgaben zahlt.

Besonders problematisch, so Öhlinger, sei die Passage im Gesetzesentwurf, wonach Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (VP) Mehrheitsempfehlungen der Gesundheitsagenturen "durch Verordnung verbindlich machen kann. Da würde die Sozialversicherung ausgeschaltet". Denn sie hätte immer das Nachsehen, wenn Bund und Länder sich gegen ihren Willen gemeinsam auf etwas einigen. "Das wäre mit der Selbstverwaltung der Beitragsgelder der Versicherten unvereinbar", betont Öhlinger: "Man kann die Selbstverwaltung nicht total einem Beschlussverfahren unterwerfen, in dem sie letztlich immer unterliegen würde." Freiwillige Koordinierung in den Agenturen wäre kein Problem.

"Unzureichend"

Die Ärztekammer wiederum ließ bei einer Enquete zum Thema "Arzt-Sein zwischen Patienten und Kosten - Gesundheitsagenturen ohne Alternative?" am Dienstag den deutschen Gesundheitsökonomen Bert Rürup eine Einschätzung des Konzepts für die Gesundheitsagenturen vornehmen: "Die Zielvorgaben der Reform sind überwiegend problemadäquat. Die gewählten Mittel zur Problemlösung bzw. Zielerreichung erscheinen mir dagegen unzureichend und in Teilen inadäquat", so Rürup. Unzureichend sei das Konzept, "weil viele, ganz wesentliche Fragen der zukünftigen Gestaltung des österreichischen Gesundheitswesens unbeantwortet bleiben". Etwa die künftige Finanzierungsstruktur oder der Stellenwert der Gesundheitsagenturen. Das "zentrale Problem" aber sei die "Sektoralisierung", die getrennte Planung, Finanzierung und Steuerung von stationärem und ambulantem Bereich.

Zu den Agenturen meinte der deutsche Experte, deren geplante Rolle als Nachfrager auf dem Gesundheitsmarkt hätte Interpretationen zur Folge gehabt, wonach sie einen "erheblichen Machtgewinn für die Bundesländer" und einen "Machtverlust für die soziale Krankenversicherung und die Ärztekammer" bedeuten könnten. Also von "Sozialpartnern zur Politik". Rürup: "Wäre hiermit eine Stärkung der Staatsverwaltung zulasten der Selbstverwaltung verbunden, könnten sich verfassungsrechtliche Probleme ergeben." Einige Vorgaben im Plan sprächen für eine Verlagerung zugunsten des Staates.

Ärztekammerpräsident Reiner Brettenthaler urgierte die strikte "Trennung von Zahlern und Anbietern in den Agenturen", wenn nicht, dann müssten auch die Ärzte Sitz und Stimme bekommen. Rauch-Kallat setzt auf Dialog und will die Reform "noch im Herbst ins Parlament bringen". (DER STANDARD, Printausgabe, 22.9.2004)

(Lisa Nimmervoll/DER STANDARD, Printausgabe, 22.9.2004)